Soll man jetzt Jodtabletten kaufen?
Im Lichte der Auseinandersetzungen zwischen Russland und Ukraine steigt bei vielen die Angst vor nuklearen Zwischenfällen. Schweizer Apotheken verzeichnen bereits eine erhöhte Nachfrage nach Jodtabletten. Doch ergibt es Sinn, sich jetzt mit Kaliumjodid zu bevorraten, und wie kommen Schweizer im Notfall an Jodtabletten?
Die Ukraine besitzt 15 aktive Atomreaktoren, welche sich direkt auf Kriegsgebiet befinden, zudem besteht die realistische Sorge vor einem nuklearen Anschlag der Atommacht Russland. «Wir haben beobachtet, dass in den letzten Tagen die Nachfrage nach Kaliumjodidtabletten deutlich gestiegen ist», berichtet Natalia Blarer Gnehm, Apothekerin der TopPharm Europaallee Apotheke in Zürich.
Kaliumjodidtabletten sättigen Schilddrüse mit stabilem, nicht-radioaktivem Jod
Bei Freisetzung von radioaktivem Jod gelangt dieses über die Atemwege oder den Gastrointestinaltrakt in den menschlichen Körper. Weil Jod in der Umgebung so selten ist, ist der Körper stark darauf ausgerichtet, das Element zu speichern. Radioaktives Jod wird daher wie das ungefährliche stabile Jod vom Körper aufgenommen, und in der Schilddrüse eingelagert.
Werden rechtzeitig Kaliumjodidtabletten eingenommen, wird die Schilddrüse mit stabilem, nicht radioaktivem Jod gesättigt. In einem solchen Fall nützen jedoch lediglich die hochdosierten Kaliumjodidtabletten «KALIUMIODID 65 AApot Tabl 65 mg». Diese sind nicht zu verwechseln mit den herkömmlichen Jodtabletten, wie sie etwa bei einer Schilddrüsenerkrankung verschrieben werden.
Mithilfe einer Einmalgabe von Kaliumjodid kann diese Aufnahme verhindert werden. Eine Tablette zur Jodprophylaxe enthält 65 mg Kaliumjodid, das entspricht 50 mg Jodid. Die Dosis richtet sich nach dem Alter (1):
- Kinder bis zu einem Monat: Einmalig ¼ Tablette
- Kinder von 1-36 Monate: ½ Tablette
- Kinder von 3 bis unter 12 Jahren: 1 Tablette
- Jugendliche und Erwachsene ab 12 Jahren: 2 Tabletten.
Jodprophylaxe senkt Risiko für Schilddrüsenkarzinome
Nimmt der Körper radioaktives Jod auf, erhöht dies das Risiko, an einem Schilddrüsenkarzinom zu erkranken. In den Jahren nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl im Jahr 1986 traten in Weissrussland, der Ukraine und Russland vermehrt Schilddrüsenkarzinome auf. Bei Kindern bis 14 Jahren stieg die Karzinomrate um das 20- bis 30fache an (2).
Wichtig zu beachten ist, dass Kaliumjodidtabletten richtig eingenommen bei radioaktiver Strahlung die Schilddrüse schützen, jedoch nicht die anderen Organe. Bei einem Kernkraftwerks-Unfall können auch die radioaktiven Elemente Cäsium und Strontium freigesetzt werden - gegen diese helfen Jodtabletten nicht.
Jod-Bunkern ergibt keinen Sinn
In einem Notfall erhalten Bürger Kaliumjodidtabletten vom Bund. Die Verteilung läuft über die Armeeapotheke und die Kantone (3). Es sollte nicht vom geplanten Versorgungssystem abgewichen werden, betont das Bundesamt für Gesundheit BAG. Die Behörden werden im Ernstfall regionale Empfehlungen abgeben. «Bei einem schweren KKW-Unfall kommen Kaliumjodidtabletten zum Einsatz - ob die Bevölkerung solche nach einem Atomschlag einnehmen muss, ist abhängig vom Ort des Ereignisses und den Windverhältnissen. Im Ernstfall würde die Nationale Alarmzentrale die Einnahme anordnen», erklärt das BAG auf seiner Homepage.
Das BAG schreibt weiter, dass sich rund 4,9 Millionen Personen in der Schweiz bereits mit Kaliumjodid bevorratet haben. 2014 wurden die Tabletten an Haushalte, die im Umkreis von 50 Kilometern eines Kernkraftwerkes liegen, verteilt (4).
Von einer Eigenmedikation wird ausserdem dringend abgeraten, da die Einnahme von hochdosierten Kaliumjodidtabletten zu Nebenwirkungen bis hin zu lebensbedrohlichen Vergiftungen führen kann. «Ich kann die Verunsicherung der Bevölkerung nachvollziehen», so Frau Blarer Gnehm, «Im Ernstfall werden diese Tabletten dann aber von den Behörden innerhalb weniger Stunden verteilt. Jeder Kanton hat entsprechende Vorräte eingelagert, eine prophylaktische Bevorratung in Eigeninitiative ist in der Schweiz nicht nötig.»
Referenzen
- KALIUMIODID 65 AApot Tabl 65 mg, Compendium, abgerufen am 04.03.2022
- Ärzteblatt. Katastrophenmedizin: Aktuelle Empfehlungen zur Jodblockade, abgerufen am 03.03.2022
- Fedlex. Verordnung über die Versorgung der Bevölkerung mit Jodtabletten, abgerufen am 03.03.2022
- Bundesamt für Gesundheit (BAG). Jodtabletten, abgerufen am 03.03.2022