Medical Tribune
1. Feb. 2022Sportmedizin

Übertrainingssyndrom bei Sportlern rechtzeitig erkennen

Wenn bei Sportlern die Leistung trotz unverändertem oder sogar intensiviertem Training abfällt, kann das auf ein Übertrainingssyndrom hindeuten. Oft wird dieses Problem zu spät oder gar nicht erkannt. Warnsignale gibt es genug – physische ebenso wie psychische.

Das Übertrainingssyndrom beschreibt einen Leistungsabfall, für den es keine organische Ursache gibt, und der auch nach längeren Regenerationsphasen von zwei bis drei Wochen anhält. Als weitere Indikatoren gelten verminderte Belastbarkeit, verzögerte Erholung und schnellere Muskelermüdung. Ausserdem klagen Betroffene häufig über

  • "Schwere Beine"
  • Gelenk- oder Muskelschmerzen
  • Appetitverlust, Müdigkeit
  • Schlafprobleme
  • Psychische Symptome (z.B. Unruhe, Reizbarkeit, emotionale Instabilität, wiederkehrende Angstzustände, Gleichgültigkeit, Motivationsverlust)

Das haben Dr. Alexander Schorb von der Paracelsus Medical University Salzburg und Kollegen zusammengefasst (1).

Zuerst andere Ursachen ausschliessen

Leider gibt es aktuell noch eindeutigen Diagnosekriterien für das Übertrainingssyndrom. Darum müssen zunächst anderweitige Gründe für den Leistungsabfall ausgeschlossen werden. Mögliche Differenzialdiagnosen sind beispielsweise:

  • Anämien
  • Pfeiffersches Drüsenfieber
  • Infektionen
  • Muskelschäden
  • Borreliose
  • Endokrinologische Erkrankungen
  • Unausgewogene Ernährung oder Essstörungen
  • Auffällige Organbefunde (z.B. Leber, Niere)
  • Verletzungen des Bewegungsapparates
  • Kardiologische Erkrankungen
  • Asthma
  • Allergien

Da es keine verlässlichen somatischen Diagnoseparameter gibt, bedarf es eines engen sportmedizinischen Monitorings unter Kenntnis der individuellen Ausgangswerte (z.B. Hormonstatus, Blutdruck, Puls, Herzratenvariabilität) unter standardisierten Bedingungen. Darüber hinaus empfehlen die Kollegen eine sportpsychiatrische Begleitung, denn ein Übertrainingssyndrom kann auch mit einer depressiven Symptomatik einhergehen.

Jüngere und Einzelsportler sollten dringend auf Pausen achten

Das Risiko liegt bei Einzelsportarten höher als beim Gruppensport, und junge Leistungssportler sind besonders gefährdet. Zur Vorbeugung sollten Sportler auf eine abwechslungsreiche Gestaltung des Trainings achten, und die Intensität nicht um mehr als 10 % pro Woche steigern. Darüber hinaus sollten sie Raum für mindestens einen bis zwei Tage pro Woche lassen, in denen Wettkampf und spezifisches Training Pause haben. Ideal ist eine Pause von zwei bis drei Monaten pro Jahr von der spezifischen Sportart.

Monitoring via App

Für das Monitoring kann es sinnvoll sein, ein tägliches erweitertes Trainingsprotokoll zu führen. Darin sollten die Athleten Daten festhalten, wie:

  • Umfang/Distanz/Intensität/Zeit des Trainings
  • Herzfrequenz
  • BMI
  • Körperliches Wohlbefinden
  • Psychisches Wohlbefinden
  • Ausmass der Müdigkeit
  • Auftreten von Gesundheitsbeschwerden
  • Menstruation
  • Schlafqualität
  • Stressfaktoren

Für das Erfassen dieser Daten stehen verschiedene Online-Tools oder Apps zur Verfügung. In der sportpsychiatrischen Betreuung wird beispielsweise das Synergetische Navigationssystem (SNS) eingesetzt, eine webbasierte Plattform zur Erfassung, Visualisierung und Analyse von Veränderungsprozessen. Es bietet die Möglichkeit, auffällige psychische Parameter in einen Kontext mit physiologischen Parametern und Leistungsfähigkeit zu bringen.

Für die Erfassung des mentalen Status zum (Selbst-)Monitoring auf Übertraining eignen sich zum Beispiel das Profile of Mood State (POMS), die Befindlichkeitsskala (BFS) oder der Erholungs-Belastungs-Fragebogen für Sportler (EBF-Sport).

Auch ein "Tapetenwechsel" kann auch helfen

Das grösste Problem besteht darin, dass Sportprofis auf Leistungseinbussen als erste Reaktion in der Regel mit einer Trainingsintensivierung reagieren. Ein Übertrainingssyndrom lässt sich daher nur überwinden, wenn es richtig erkannt wird, der Patient Trainingsintensität und -umfang deutlich reduziert und muskuläre, mentale und psychische Regenerationsmassnahmen erfolgen.

Völlige Passivität ist in der Erholungsphase unnötig. Stattdessen werden ausgleichende Sportarten, Spiele, Gymnastik, Massagen, Sauna und Bäder zur Unterstützung der Regeneration empfohlen. Naturerlebnisse oder ein "Tapetenwechsel" können ebenfalls hilfreich sein. Psychosoziale Stressoren gilt es zu meiden.

Spezifische medikamentöse Therapie gibt es aktuell keine. Aufgrund der Überschneidungen mit Depressionen bezüglich neuroendokrinologischer Veränderungen empfehlen einige Experten eine Therapie mit SSRI.

Mit kleinen Schritten wieder in das Training einsteigen

Das Training sollte der Patient erst dann wieder beginnen, wenn er sich physisch und psychisch ausreichend erholt fühlt und wieder am Wettkampf teilnehmen möchte. Das kann im Einzelfall mehrere Monate, aber auch Jahre dauern. Bei der Wiederaufnahme des Trainings wird empfohlen, mit einer täglichen Belastung von etwa 20–30 Minuten zu beginnen, mit einem oder zwei trainingsfreien Tagen pro Woche. Danach kann man die Belastung in Absprache mit dem Sportarzt und Sportpsychiater individuell steigern.

Referenz

1.Schorb A et al. Overtraining from a Sports Psychiatry Perspective. Dtsch Z Sportmed 2021; 72: 271-279. doi:10.5960/dzsm.2021.496