Panik als Anaphylaxie getarnt
Gibt ein Patient eine Allergie gegen Lokalanästhetika an, sollte man ganz genau nachfragen und eine gezielte Diagnostik veranlassen. In den allermeisten Fällen steckt nämlich etwas ganz anderes dahinter.
Weil sie auf die Gabe eines Lokalanästhetikums heftig reagiert hatte, stellte sich eine 50-Jährige im Allergie- und Asthma-Zentrum Westend in Berlin vor. Gegenüber Professor Dr. Jörg Kleine-Tebbe schilderte die Patientin eine dramatische Situation beim Zahnarzt: Noch während dieser das Lokalanästhetikum injizierte, habe sie Herzklopfen, Brustschmerz, Atemnot, Schwindel und Sehstörungen bekommen, gezittert und sich benommen gefühlt.
Pricktest und Provokation fielen negativ aus
Die Behandlung sei abgebrochen worden und der Zahnarzt habe angekündigt, er werde wegen der Allergie bei ihr kein Lokalanästhetikum mehr verwenden. Die allergologische Diagnostik von Prof. Kleine-Tebbe mit Pricktest und Provokation verlief allerdings unauffällig, sodass die Geschehnisse im Nachhinein als Panikattacke gewertet werden mussten.
Das ist ein typischer Fall, sagte der Kollege. In über 99 % der Fälle ist eine solche injektionsassoziierte Symptomatik durch Panikattacken, Hyperventilation, vagovasale Synkopen oder pharmakologische Nebenwirkungen verursacht und nicht durch eine Allergie. Die Symptome können so dramatisch sein, dass sie eine anaphylaktische Reaktion imitieren.
«Echte» IgE-vermittelte Allergien auf Lokalanästhetika kommen extrem selten vor, die Literatur kennt nur Einzelfallberichte. Auch Zusatzstoffe in Lokalanästhetika führen nur äusserst selten zu solchen Ereignissen. Häufiger gibt es erythematöse Lokalreaktionen oder auch Kontaktallergien gegen topisch applizierte Lokalanästhetika. Der Verdacht auf eine psychogene Komponente liegt vor allem dann nahe, wenn die Reaktion praktisch mit dem ersten injizierten Tropfen einsetzt. Natürlich muss eine allergische Reaktion trotzdem ausgeschlossen werden.
«Es wäre sehr hilfreich, wenn in diesen Fällen der Anaphylaxie-Marker Tryptase gemessen würde», so Prof. Kleine-Tebbe. Nach mastzellvermittelten anaphylaktischen Reaktionen finden sich im Serum bis zu vier Stunden lang deutlich erhöhte Werte. Ist dies der Fall, sollte am nächsten Tag oder noch später nach dem Ereignis der Spiegel erneut gemessen werden, um eine eventuell vorhandene Mastozytose nachzuweisen.
Pricktest erfolgt mit unverdünntem Medikament
Besteht tatsächlich der Verdacht auf eine allergische Reaktion, folgt das übliche Testprogramm, wobei das Lokalanästhetikum beim Pricktest unverdünnt angewendet und für den Intrakutantest – bei negativem Pricktest – 1:10 mit 10%igem NaCl verdünnt werden sollte. Fallen beide Tests negativ aus, «kann man eigentlich gleich durchstarten zur Provokation und dem Patienten demonstrieren, dass er das Mittel gut verträgt», sagte Prof. Kleine-Tebbe. Dazu wird das Lokalanästhetikum in schrittweise ansteigender Dosierung, beginnend mit 0,1 ml subkutan in die Oberarmstreckseiten injiziert, wobei 30–60 Minuten zwischen den Injektionen vergehen sollten.
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