Osteogenesis imperfecta im Erwachsenenalter
Die Osteogenesis imperfecta ist zwar eine seltene Erkrankung, die Folgen für die Betroffenen sind aber gross. Neben der interdisziplinären Basisversorgung durch Hausarzt, Osteologen, Physiotherapeuten und Orthopädietechniker, spielt das Selbstmanagement der Patienten im Verlauf der Erkrankung eine wichtige Rolle. PD Dr. Albrecht Popp, Leitender Arzt Osteometabolik, Inselspital Bern, berichtete am virtuellen Kongress Osteologie 21, was beim Management von Patienten mit Osteogenesis imperfecta im Erwachsenenalter zu beachten ist.
Bei der Osteogenesis imperfecta (OI), der sogenannten Glasknochenkrankheit, liegt ein Defekt des Kollagens Typ 1 vor. Dabei gibt es sehr unterschiedliche Ausprägungen: Die klassische Klassifikation basiert auf dem klinischen Bild, den radiologischen Befunden und dem Vererbungsmuster. Am häufigsten ist der Typ I, der meist mild verläuft. Typisch sind dabei die blauen Skleren (s. Bild). Frakturen kommen in unterschiedlicher Häufung vor, Knochendeformitäten sind eher ungewöhnlich. Allerdings hat etwa die Hälfte der Betroffenen einen Hörverlust. Die Statur ist normal und auch die Lebenserwartung ist nicht verkürzt.
Die schwerste Form ist die OI vom Typ II, die meist letal verläuft. Beim Typ III prägen ein ausgeprägter Kleinwuchs sowie mässige bis schwere Deformitäten der Knochen und multiple Frakturen das klinische Bild. Die Skleren sind bei Geburt blau, später aber normal. Ein Hörverlust ist häufig. Schwieriger wird die Diagnose beim Typ IV, denn die Klinik ist bei diesem Typ sehr variabel mit milden bis moderaten Verläufen. Die Skleren sind meist normal oder grau, ein Hörverlust kommt nur gelegentlich vor. Deformitäten der Knochen sind eher mässig bis mild, Frakturen treten multipel auf. Aufgrund der meist autosomal dominanten Vererbung (ca. 80 % der Fälle) kommt die OI familiär gehäuft vor. Es gibt aber Genedefekte, die autosomal-rezessiv vererbt werden (< 10 %), und auch spontane Mutationen.
OI betrifft nicht nur die Knochen
Neben den typischen, meist auffälligen skelettalen Manifestationen gibt es durch den variablen Befall des Bindegewebes auch viele nichtskelettale Befunde: eine muskuläre Schwäche, Hör- oder Sehstörungen , brüchige Zähne, Veränderungen der Herzklappen oder der Gefässe aber auch Erkrankungen der Atemwege. Menschen mit OI haben neben dem Minderwuchs oft chronische Schmerzen. Sie ermüden rasch, werden oft ausgegrenzt und sind teilweise auf fremde Hilfe angewiesen. Auch schränkt das Vorliegen einer OI die Berufswahl ein.
Nicht selten kommen aufgrund traumatisierender Schmerzerlebnisse oder dadurch, dass OI-Patienten in ihrer Kindheit häufig immobil waren, auch psychische Störungen vor. Generell haben die Betroffenen eine erhöhte Morbidität und Mortalität. All das fordert ein hohes Mass an Selbstmanagement in Bezug auf Schmerzen, Bewegung, Ernährung und Erholung, so PD Dr. Popp.
Hilfe finden Betroffene in gut vernetzten Patientenorganisationen, wie zum Beispiel der Schweizerischen Vereinigung Osteogenesis imperfecta (SVOI) oder der Ostegenesis Imperfecta Federation Europe (OIFE). Die OIFE hat einen Osteogenesis-Pass entworfen, der in Notfällen in 22 Sprachen medizinisches Personal, das vielleicht nicht mit der OI vertraut ist, im Umgang mit den Besonderheiten der OI bei Röntgenuntersuchungen, Operationen oder der Anästhesie anleiten soll (s. Kasten).
Wichtig ist, dass die Patienten, aber auch die Angehörigen sich mit ihrer Erkrankung und deren spezifischen Risiken auskennen. So haben sie ein erhöhtes kardiopulmonales Risiko bei Narkosen – es können Verletzungen der Luftwege oder der Zähne, aber auch der Haut durch die Blutdruckmanschette auftreten –, bei orthopädischen Operationen und auch in der Schwangerschaft. Präeklampsie und Blutungen, aber auch Früh- und Mangelgeburten kommen bei Schwangeren mit OI häufiger vor.
Versorgung im interdisziplinären Team
Im Abstand von zwei bis fünf Jahren ist regelmässig der Knochenstatus mittels DXA, ggf. auch mittels Umbaumarker zu evaluieren. Je nach Klinik sollten auch Audiometrie, ophthalmologischer und kardio-logischer Check-up oder eine pneumologische Evaluation regelmässig erfolgen.
In der Basisversorgung der OI braucht es immer ein interdisziplinäres Team aus Hausärztin, Osteologin, Physiotherapeut und Orthopädietechniker. Bei allen Massnahmen steht der Patient im Zentrum. Das gilt insbesondere für eine mögliche knochenspezifische Therapie, die –egal welche Substanz eingesetzt wird – immer off label ist. Diese kann bei Wirbelkörperfrakturen, bei häufigen peripheren Frakturen oder einem eindeutigen Knochenmineralverlust notwendig sein.
Informationsquellen für Patienten mit Osteogenesis imperfecta
- Schweizerische Vereinigung Osteogenesis imperfecta (SVOI): www.glasknochen.ch
- Osteogenesis imperfecta – die Glasknochenkrankheit erklärt, YouTube-Video der SVOI: https://youtu.be/i44KElsuaPs
- The Osteogenesis Imperfecta Federation Europe (OIFE), www.oife.org, u.a. OIFE-Pass: https://oife.org/news-resources/oife-passport
Wichtig: Eine niedrige Knochendichte allein ist bei Patienten mit OI keine Therapieindikation. Auch wenn viele berichten, dass die Gabe von Bisphosphonaten ihre Schmerzen lindert, gibt es dazu keine Evidenz. Günstig scheint insbesondere im frühen Erwachsenenalter eine niedrigschwellige Hormonersatztherapie zu sein. Aktuell läuft eine gross angelegte europäische Studie (The TOPaZ-Trial) mit dem Endpunkt Fraktur bei OI-Patienten. Dabei untersuchen die Forscher, ob eine Therapie mit Teriparatid gefolgt von Zoledronat dem aktuellen Standard of care (inkl. der Gabe von Bisphosphonaten) überlegen ist. Erste Daten werden 2023 erwartet.