Medical Tribune
5. Juli 2021In den ersten 1000 Tagen ist Ernährung alles

Prävention im Säuglings- und frühen Kindesalter

Zusätzlich zu Genetik und Epigenetik haben auch Umweltfaktoren bei Babys einen grossen Einfluss auf ihre Gesundheit im Erwachsenenalter. Wo die Prävention ansetzen kann, erläuterte Professor Dr. Christa E. Flück, Leiterin der pädiatrischen Endokrinologie an der Kinderklinik des Inselspitals in Bern, am Forum für medizinische Fortbildung.

Makro Nahaufnahme der Babyhand mit einem Stück Obst, das im Kinderstuhl sitzt Kind isst gesundes Essen
istock.com/Demianastur

Schon in den ersten Lebenstagen spielt das Gewicht eine grosse Rolle für die Lebenserwartung. «Kinder, die schon früh überfüttert werden und sehr schnell viel Gewicht zulegen, kommen in einen beschleunigten Reifungsprozess», erklärte Prof. Flück. Sie erreichen vorzeitig die Adrenarche (mit 7 statt mit 10 Jahren) und die Pubertät (schon vor dem 12. statt nach dem 13. Lebensjahr). Und dies hat weitreichende Folgen. «Diese Kinder haben im Erwachsenenalter einen höheren BMI, einen grösseren Bauchumfang und entsprechend auch ein erhöhtes Risiko für Adipositas, Typ-2-Diabetes, kardiovaskuläre Erkrankungen sowie für ein prämenopausales Mamma-Karzinom und Mortalität», so die Expertin

Auch das Geburtsgewicht beeinflusst bereits das spätere metabolische Risikoprofil. So existiert eine Kaskade von einem niedrigen Geburtsgewicht und einer schnellen Gewichtszunahme über eine frühe Adrenarche und Menarche hin zu einem PCOS und einem metabolischen Syndrom im Erwachsenenalter. «Diese Kinder werden wohl kaum 100 Jahre alt», sagte Prof. Flück.

Art der Entbindung beeinflusst das Mikrobiom

In den ersten Lebensjahren entwickelt sich auch eine Kaskade für Diabetes mellitus Typ 1. Die Prävalenz steigt seit einigen Jahren auch hierzulande stark an. Die Gründe sind noch nicht genau erforscht. «Es existiert eine genetische Prädisposition, die aber nicht sehr ausgeprägt ist. Und es gibt einen Zusammenhang mit der Ernährung, der Umwelt und Weichmachern, dem Epigenom und vielleicht auch mit dem Mikrobiom im Darm», erläuterte die pädiatrische Endokrinologin.

Diese eigene Welt von unzähligen Viren und Bakterien beeinflusst unseren Metabolismus und wird massgeblich in den ersten zwei Lebensjahren aufgebaut. «Einen Einfluss auf die Zusammensetzung des Darm-Mikrobioms hat unter anderem die Art der Geburt (vaginal oder per Kaiserschnitt) und die Ernährung im Säuglingsalter (mit Schoppen oder der Brust). Auch eine Malnutrition in den ersten zwei Lebensjahren – sie wird meistens durch Gastroenteritiden hervorgerufen – verändert das Darm-Mikrobiom. Das gleiche gilt für auch eine Antibiotika-Exposition im frühen Kindesalter. «Diese mikrobiellen Veränderungen im Darm lassen sich aktuell nicht mit Flüssigkeits- und Kohlenhydrat-Ersatztherapien korrigieren. Sie gehen mit Gedeihstörungen sowie mit einem erhöhten Risiko für Adipositas, metabolisches Syndrom und T1D einher», betonte Prof. Flück.

Zukunft bringt Probiotika und Designermilch

Das Beste, das Eltern für die Gesundheit und ein langes Leben ihrer Neugeborenen tun könnten, ist, sie vor Weichmachern und anderen Umweltgiften sowie vor Gewalt und Vernachlässigung zu schützen, ihre geistige Entwicklung zu fördern und vor allem auch in eine gesunde Ernährung zu investieren. Denn die Nahrung beeinflusst Mikrobiom, Wachstum und die Hirnentwicklung bis zum 4. Lebensjahr.

«Das gesündeste ist die Brusternährung», sagte die Referentin. Geht dies nicht, sollten die Kinder Ersatzmilch bekommen und ab dem 6. Monat zusätzlich eine Tellermahlzeit. Auf Reis- oder Getreideschleim sollte verzichtet werden. Denn dieser verursacht gemäss der Spezialistin mitunter schwerste Mangelernährungen. Zudem sollten die Kinder Zucker nur in kleinen Mengen und möglichst nur komplexe Kohlenhydrate zu sich nehmen.

«In Zukunft werden wir mit Probiotika, designten Oligosacchariden und Mikrobiom-Transplantaten gezielt das Mikrobiom und somit auch unseren Metabolismus beeinflussen können», prognostizierte Prof. Flück vor dem Hintergrund der aktuellen Forschungsergebnisse.

Bereits entwickelt und an Babys getestet ist sialysierte Milch. Sie enthält komplexe Kohlenhydrate, an die biochemisch eine Nebenkette angebaut ist. Bekommen Kinder nach einer akuten Gastroenteritis und/oder Antibiotika-Therapie sialysierte Milch, haben sie nach zwei Jahren wieder ein ähnlich intaktes Mikrobiom wie Kinder, die keine Magendarminfektionen durchgemacht haben. «Mit Designermilch dürfte sich künftig also auch der Stoffwechsel wieder einstellen lassen», so Prof. Flück.