Medical Tribune
27. Mai 2021«Nehmen Sie die Füsse in die Hand …»

Das diabetische Ulkus ist eine medizinische Katastrophe

Während die Diabetes-Therapie im Hinblick auf kardiovaskuläre Komplikationen grosse Fortschritte erzielt hat, hapert es weiterhin mit der Behandlung des diabetischen Fusses. Hausärzte haben es in der Hand, die Situation zu verbessern, betonte Dr. Barbara Felix, Leitende Ärztin, Abteilung Endokrinologie und Diabetologie, Kantonsspital Baselland, Bruderholz, am Forum für medizinische Fortbildung.

Schlechte Aussichten bei diabetischen Fussulzera: Etwa 30 % heilen nie.

An der Epidemiologie des Typ-2-Diabetes lässt sich nichts verändern, so Dr. Felix. Die Anzahl der Erkrankten hat sich seit dem Jahr 2000 verdreifacht und die Krankheit beginnt immer früher im Leben. Aber: Die Patienten haben aufgrund der therapeutischen Fortschritte hinsichtlich makrovaskulärer Komplikationen bei guter Stoffwechselkontrolle eine fast normale Lebenserwartung.

Schlechte Heilung, häufige Rezidive

In puncto mikrovaskuläre Komplikationen sieht es dagegen weniger gut aus: So entwickeln etwa 15 % der Typ-2-Diabetes-Patienten im Laufe ihres Lebens ein Fussulkus.

Die mittlere Heilungsdauer beträgt 90 Tage und 30 % aller Ulzera heilen nie, betonte Dr. Felix. Das Rezidivrisiko ist zudem hoch. Alle 30 Sekunden wird in der Welt eine Unterschenkelamputation wegen eines diabetischen Fussulkus durchgeführt, so die Expertin weiter. Vor allem im Bereich der kleinen Amputationen steigen die Zahlen – auch in der Schweiz. Und: Ein Drittel aller Kosten des Diabetes wird durch den diabetischen Fuss verursacht.

Der diabetische Fuss entwickelt sich auf Grundlage einer Neuropathie. Im Verlauf kann daraus eine Osteoarthropathie entstehen, ein Charcot-Fuss. Als makrovaskuläre Komplikation ist zudem eine PAVK in etwa 50 % der Fälle vorhanden. Die Hauptursache für das diabetische Fusssyndrom ist jedoch Druck durch mangelhafte Schuhversorgung. Durch die Neuropathie erkennen die Patienten erste Warnzeichen nicht, um den Arzt rechtzeitig zu kontaktieren. Aufgrund der Anatomie des Fusses kann es vom Riss in der Haut rasch zur Infektion und einer Osteomyelitis kommen. Zusätzlich erschweren die Lokalisation an der Fusssohle, aber auch eine Retinopathie oder Adipositas die frühzeitige Wahrnehmung der Wunde durch den Patienten. «Nehmen Sie die Füsse in die Hand – wenigstens einmal pro Jahr», forderte Dr. Felix von den betreuenden Ärzten. Dies könne helfen, auch die Aufmerksamkeit der Patienten stärker auf ihre Füsse zu lenken.

Etwa ein Viertel aller Diabetes-Patienten entwickelt innerhalb von zehn Jahren eine PAVK. Das Tasten der Fusspulse ist daher ein wichtiges Screening-Instrument. Zusätzlich erhält man durch Vibrations- und Neurofilamente-Test einen grossen Teil der Informationen, die für die Diagnose und Risikobeurteilung notwendig sind.

Beratung zum Schuhkauf und zur Fusspflege

Die veränderte Biomechanik und Fussdeformitäten prädisponieren für ein Ulkus. Suggestiv für eine erhöhte Druckbelastung sind Kallus, Erythem und Blutung unter einem Kallus. Vom Patienten werden diese allerdings nur verzögert wahrgenommen. «Auch ein Patient mit Charcot-Fuss kann sich noch in einen normalen Schuh quetschen», so die Expertin.

Die Beratung hinsichtlich Schuhkauf und Fusspflege gehört zu den Grundinformationen für jede Patientin und jeden Patienten mit Diabetes. Je weiter die Neuropathie fortgeschritten ist, desto enger werden die Schuhe gekauft, weil die Betroffenen den Druck des Leders auf den Füssen nicht mehr spüren.

Verzögerte Diagnose nimmt Chance auf Heilung

Es besteht eine erhebliche Latenz zwischen Entstehung der Wunde und einem ersten medizinischen Kontakt, meist sind dies etwa 4–6 Wochen. Es besteht nur eine einzige Möglichkeit, dem vorzubeugen: Man muss die Patienten informieren, beim geringsten Problem an den Füssen sofort zur Ärztin zu gehen, betonte die Referentin. «Nur so können wir diese lange Zeit verkürzen, die uns einen grossen Teil der Heilungschancen nimmt».

Das fortgesetzte Trauma durch mangelnde Druckentlastung führt häufig auch zu unerkannten Infektionen und Osteomyelitis. Etwa 60 % der Wunden sind bei Diagnosestellung bereits infiziert. Da die Infektionszeichen häufig wegen der Polyneuropathie abgeschwächt sind, sollte man sich nicht in falscher Sicherheit wiegen und immer an eine Osteomyelitis denken. Für Probleme bei der Wundheilung können auch eine bestehende PAVK sowie Begleiterkrankungen wie etwa eine Niereninsuffizienz und eine schlechte Diabeteseinstellung sorgen.

Erstmals Wundauflage mit Evidenz

Ein Diabetes-Patient mit einer Wunde am Fuss ist ein Notfall. Wichtig ist vor allem eine stadiengerechte und regelmässige feuchte Wundversorgung. Daneben muss eine Druckentlastung erfolgen, d.h. Patienten sollten das Gehen einschränken bzw. einen Gehstock oder Rollstuhl benutzen. Auch für ausreichend grosses Schuhwerk ist zu sorgen damit der Verband darin Platz findet (Verbandsschuhe, Vacoped).

Fussuntersuchung

Inspektion der Haut und der Zehen

  • Temperatur: normal, warm, kalt
  • Kallusbildung
  • Farbe: normal, rot, blau, blass, Kapillardurchblutung
  • Zehennägel: Deformität, Onychomykose
  • Hautintegrität? Fehlender Fussschweiss? Rissige Haut?

Im Hinblick auf die Wundversorgung rät Dr. Felix von Fussbädern ab. Dabei würden nur Bakterien weiter in die Tiefe gespült. Zum ersten Mal liegt nun für einen Wundverband wissenschaftliche Evidenz vor: In der EXPLORER-Studie kam es mit einer Auflage mit dem Matrixmetalloproteinasen-Inhibitor Sucrose-Octasulfat (UrgoStart plus) im Vergleich zum Kontrollverband zu einer deutlich verkürzten Wundheilung (120 vs. 180 Tage).1 Die britischen NICE-Guidelines haben diesen Wundverband mittlerweile in die Empfehlungen aufgenommen. Wichtig ist auf jeden Fall eine stadiengerechte Wundversorgung und engmaschige Kontrollen.

Ein Ulkus ist nie geheilt, sondern immer nur in Remission, warnte Dr. Felix: «Ein Patient mit einem stattgehabten Ulkus ist ein Patient, der demnächst wieder ein Ulkus entwickeln wird.» Daher sollten bei Patienten nach einem Ulkus bei jedem Arztbesuch die Füsse kontrolliert werden. «Nehmen Sie die Füsse in die Hand bevor Ihr Patient sie verliert!»

  1. Edmonds M et al. Lancet Diabetes Endocrinol 2018; 6(3): 186-196.