Mehr Präsenz von Ärzten in der gesellschaftlichen Diskussion soll gegenwirken
Als Studien längst schon gegen den Benefit von Hydroxychloroquin bei Covid-19 sprachen, befeuerten Politiker wie Donald Trump weiter den Hype. Ärzte sollen deswegen in der Pandemie mehr Position beziehen, um der Wissenschaftsleugnung Paroli zu bieten.
In der Coronapandemie werden wissenschaftliche Erkenntnisse politisch instrumentalisiert. Das diskutierte am Beispiel des «Aufstiegs und Falls von Hydroxychloroquin» Dr. Till Koch, Internist am UKE Hamburg, im Rahmen des Forums Junge Internisten am 127. Kongress der DGIM.
Das Chinin-Derivat Hydroxychloroquin hatte im März 2020 aufgrund einer In-vitro-Studie Hoffnungen geweckt, sich als wirksam bei der Behandlung von Covid-19-Patienten erweisen zu können. Eindeutiger als das wurden die positiven Hinweise auf Wirksamkeit aber nicht. Trotzdem wurde über umfangreiche Medienarbeit in sozialen Netzwerken millionenfache Aufmerksamkeit auf das «Wundermittel» gelenkt. Besonders die Rechte in Frankreich feierte es, genauso der damalige US-Präsident Donald Trump. Die Begeisterung für die einfache Lösung schaukelte sich zwischen rechten Politikern weltweit hoch. Und obwohl weitere Studien keinen Benefit nachweisen konnten und die Skepsis wuchs, sprach die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA eine vorübergehende Notfallzulassung aus. Andere Länder folgten.
Widerlegte Studien wurden politisch instrumentalisiert
Drei Monate nach dem grossen Durchbruch, im Juni 2020, musste die FDA die Autorisation wieder zurückziehen. Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) warnt seit Anfang Juni vor den Risiken bei einer Anwendung von Hydroxychloroquin und Chloroquin zur Behandlung von Covid-19.
Die wissenschaftliche Leugnung bestand darin, so Dr. Koch, dass das Mittel als Lösung der beginnenden politischen Covid-19-Krise in den USA instrumentalisiert wurde, als die wissenschaftlichen Erkenntnisse schon längst dagegen sprachen. Das Problem von Wissenschaftsleugnung in der Pandemie ist laut Dr. Koch der enorme Handlungsdruck, Evidenz generieren zu müssen. Dieser Druck könne sich in Retractions von Papers äussern, wie es auch im Zusammenhang mit Hydroxychloroquin passiert ist, oder auch in inkonsistenten Empfehlungen wie z.B. zur Anwendung des Impfstoffs von AstraZeneca.
Gleichzeitig sei in der Pandemie «der Maschinenraum der Wissenschaft» gläsern geworden, die ganze Gesellschaft diskutiere mit. Dazu seien die Fragen, in der es in der Pandemie geht, nicht rein wissenschaftlich, sondern genauso gesellschaftspolitisch bzw. sozialwissenschaftlich relevante.
Die unsichere Evidenzgewinnung bei gleichzeitiger politischer Dimension des Problems sei ein Nährboden für Wissenschaftsleugnung, Desinformation und Fake News. «Wissenschaftsleugnung tritt aber nicht einfach so auf. Sie verfolgt das Ziel der strategischen Beeinflussung politischer Konflikte», so der Internist. Dahinter stünden immer Akteure mit Interessen.
Eine simple Richtigstellung unrichtiger Behauptungen sei als Gegenmassnahme nicht ausreichend. Entsprechende Forschungen beschäftigten sich mit dem Problem, dass falsche Informationen einen anhaltendeten Einfluss haben: «Fake-Informationein bleiben kleben.»
Als Gegenstrategie müsse man gegen die Falschinformation «impfen»: Dazu gehöre, Inhalte richtig zu stellen, ohne die Falschinformation unnötig weiter im Gespräch zu halten. Wichtig sei, Mechanismen von Wissenschaftsleugnung zu benennen, wie das Sich-Berufen auf Pseudo-Experten, der Aufbau von unerfüllbaren Erwartungen und das Verbreiten von Verschwörungsmythen. In diesem Zusammenhang müsse man Ross und Reiter nennen: Wer sind die treibenden Akteure?
Anerkannt werden müsse, dass Wissenschaft politisch ist und schon immer war. Die Entscheidungen, wer forscht und was geforscht wird, seien politische, gesellschaftliche Entscheidungen. Der Internist betont: «Wir müssen Position beziehen, insbesondere in der Pandemie als socio-scientific issue.» Es reicht nicht, sich zu wünschen, dass Boulevardblätter und Politiker aufhören, wissenschaftliche Erkenntnisse zu instrumentalisieren, und dass alles wieder so apolitisch wird, wie es vermeintlich einmal war.
127. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin