Testosteronmangel allein genügt nicht für die Diagnose Altershypogonadismus
Dass im Alter Vitalität, Muskelmasse und Libido schwinden, ist nichts Krankhaftes. Eine Indikation zur Testosteronersatztherapie besteht nur bei wenigen Männern. Allen anderen bringt sie nichts – ausser zusätzliche Risiken.
Sexualität, körperliche Entwicklung, Blutbildung und Stoffwechsel – ohne Testosteron läuft bei den Männern nicht viel. Leiden sie bereits in jungen Jahren an einem Mangel des Geschlechtshormons, ist eine Substitution daher klar indiziert. Bei älteren Semestern wird das Hormon nach Ansicht von Dr. Nikolai Jaschke und seinen Kollegen aus dem Universitätsklinikum Dresden dagegen viel zu unkritisch verordnet. Zwar nimmt der Testosteronspiegel etwa ab dem 40. Lebensjahr ab. Allerdings geschieht das eher schleichend um 0,5–2 % jährlich. Je nach Ausgangswert führt das nicht zwingend zu einem Defizit.
Therapiere man dann trotzdem, riskiere man ausser der Effektlosigkeit auch potenzielle Nebenwirkungen, schreiben die Endokrinologen. So scheint die Testosteronbehandlung vermehrt mit nichtkalzifizierten Plaques in den Gefässen einherzugehen. Ob das tatsächlich öfter zu Herzinfarkt und anderen kardiovaskulären Ereignissen führt, wird derzeit untersucht. Auch den proerythropoetischen Effekt des Hormons sollte man bedenken: Was bei Patienten mit ungeklärter Anämie Vorteile bringen kann, erhöht bei anderen das Thromboserisiko.
Nur ausgleichen, was auch fehlt
Zudem spielt die eventuell höhere Gefahr für ein Prostatakarzinom eine Rolle. Da Testosteron das prostataspezifische Antigen ansteigen lässt, sollten die betreffenden Männer regelmässig zur digital-rektalen Kontrolluntersuchung gehen. Unklar ist nach Angaben der Kollegen noch immer, ob man Männer nach Behandlung eines Prostatakarzinoms grundsätzlich von einer Testosterontherapie ausschliessen sollte.
Wer im Alter definitiv zu wenig Testosteron im Blut hat, kann von einer Substitution profitieren. Richtig dosiert, entspreche der Ausgleich des endokrinen Defizits der Wiederherstellung eines homöostatischen Zustandes, erklären Dr. Jaschke und Kollegen.
Mindestens dreimal im nüchternen Zustand messen
Dabei gelte: Je näher die Pharmakokinetik des Präparats an die physiologische Hormonsekretion herankomme, umso weniger Nebenwirkungen seien zu erwarten. Zwar macht das zusätzliche Männlichkeitshormon nicht jünger, es steigert aber Libido und sexuelle Aktivität. Zudem führt es auch bei älteren Patienten zu mehr Muskeln bzw. fettfreier Masse und – zumindest in den entsprechenden Tests – zu besserer Leistungsfähigkeit.
Zu guter Letzt dokumentieren Studien eine signifikante Zunahme der Knochendichte, vor allem in den Wirbeln. Dem Frakturrisiko wurde nicht explizit nachgegangen, aufgrund des Zusammenhangs mit der Knochendichte gehen die Autoren jedoch von einem positiven Effekt des Hormons aus. Auf unspezifische Beschwerden wie geringere Vitalität oder Fatigue hat das Androgen dagegen keinen Einfluss.
Wert <11nmol/l gilt als auffällig
Bleibt die Frage, wann ein Testosteronspiegel überhaupt zu niedrig liegt. Denn das ist nicht genau definiert. Je nach Fachgesellschaft schwankt die Grenze zwischen 8–12 nmol/l. Für die Autoren wird es unter 11 nmol/l auffällig, Werte unter 8 nmol/l seien eindeutig pathologisch. Auf ein einzelnes Testergebnis darf man sich dabei nicht verlassen. Mindestens drei Messungen müssen den Mangel belegen – stets nüchtern und am Morgen oder Vormittag durchgeführt.
Immer kritisch prüfen, ob eine Therapie nötig ist
Ausserdem müssen spezifische Symptome den Mangel begleiten. Drei oder mehr davon sind nötig, um die Diagnose Altershypogonadismus stellen zu können. Darunter sind neben sexuellen Störungen auch Verlust der Körperhaare, Hitzewallungen, Abnahme der Muskelmasse, zunehmender Bauch oder Anämie.
Von einem generellen Testosteron-Screening halten die Autoren ebenso wie verschiedene Fachgesellschaften wenig. Ihre Empfehlung: Immer penibel und kritisch prüfen, ob eine Hormontherapie wirklich notwendig ist. Hat der Patient Komorbiditäten wie Adipositas, die mit einem Hypogonadismus assoziiert sein können, kann auch ein Wandel im Lebensstil Erfolge erzielen.
Jaschke NP et al. Dtsch Med Wochenschr 2021; 146: 141–145; doi: 10.1055/a-1240-9784.