Fünf Regeln zur Tumorabklärung bei Kindern
Die Prognose einer Krebserkrankung hängt massgeblich von einer rechtzeitigen Diagnose ab. Deshalb sollten Sie bei ungewöhnlichen Symptomkonstellationen, therapieresistenten oder lang anhaltenden Beschwerden auch bei Kindern an ein Malignom denken.
Dass sich sogar hinter leichten, scheinbar banalen Symptomen eine Neoplasie verbergen kann, zeigen L. Lewitan und Professor Dr. Stefan Burdach von der Universitätsklinik München am Beispiel eines zehn Monate alten Säuglings. Dieser wurde mit einer Dyspnoe in der pädiatrischen Notaufnahme vorgestellt. Nach Angaben der Mutter litt er seit einigen Tagen an einem Infekt der oberen Atemwege, hatte aber kein Fieber.
Die körperliche Untersuchung ergab ein Distanzgiemen und juguläre Einziehungen als Zeichen der Luftnot. Unter der Verdachtsdiagnose «obstruktive Bronchitis» wurde das Kind kurzfristig stationär behandelt, sein Zustand besserte sich. Doch schon am Tag nach der Entlassung war das Baby wegen einer erneuten Verschlechterung wieder in der Klinik. Mittlerweile war ein inspiratorischer Stridor hinzugekommen.
Angesichts dieser ex- und inspiratorischen Kombination und des ausbleibenden Therapieerfolgs hätte die Diagnose überdacht werden müssen, betonen die Autoren. Doch erst beim dritten stationären Aufenthalt – diesmal in einem anderen Spital – wurde der Röntgen-Thorax veranlasst.
Die häufigsten Symptome bei pädiatrischen Krebskranken
- Knochen- und Gelenkschmerz bzw. -schwellung
- Fieber
- Schwäche, Blässe
- neurologische Zeichen (Krampfanfälle etc.)
- Bauchschmerz bzw. -schwellung
- Erbrechen
- vergrösserte Lymphknoten
- Kopfschmerz
- Weichteilschwellung
- Blutungen
- Husten, Dyspnoe, obere Einflussstauung
Lymphom engte die Trachea ein
Auf dem Bild war ein ausgedehnter mediastinaler Tumor zu erkennen. Im CT fand man auch die Erklärung für die respiratorischen Beschwerden: Das Lymphom (10 × 9 × 5 cm) engte die Trachea über 2 cm schlitzförmig ein. Um solche Verzögerungen so gut wie möglich zu vermeiden, empfehlen Dr. Lewitan und Prof. Burdach, sich nach fünf einfachen Regeln zu richten:
Regel 1
Weist ein junger Patient eine normozytäre Anämie ohne Hämolyse auf, gilt es, eine Leukämie bzw. aplastische Anämie auszuschliessen. Besonders dringlich ist dies bei einer Kombination mit weiteren potenziellen Frühsymptomen. Dazu gehören Knochenschmerzen, Lymphadenopathie oder Hepatomegalie (s. unterer Kasten). Hautinfiltrate können auf eine akute myeloische Leukämie hinweisen, schreiben die Autoren.
Regel 2
Bei Kopfschmerzen und Nüchtern-Erbrechen sollten Sie einen Hirntumor als Ursache ausschliessen – vor allem wenn beide Symptome zusammen auftreten. Auch fokale Krampfanfälle, Sehstörungen, Schielen und Persönlichkeitsveränderungen können Zeichen des zweithäufigsten kindlichen Malignoms sein. Selbst hinter unspezifischen Auffälligkeiten wie einer erhöhten Reizbarkeit bei Kleinkindern oder schulischen Problemen bei Älteren verbirgt sich mitunter eine zerebrale Neoplasie.
Regel 3
Anhaltende isolierte Knochenschmerzen sind verdächtig: Wenn sie länger als vier Wochen bestehen bleiben, plädieren die Experten dafür, eine maligne Genese zu prüfen. Fokale Beschwerden sprechen eher für einen Knochentumor, diffuse für Leukämien, Lymphome, Neuroblastome oder zerebrale Wucherungen. Die Beachtung der Vier-Wochen-Regel kann die Progression in ein fortgeschrittenes Stadium eventuell verhindern.
Regel 4
Unklare Schwellungen, die nicht innerhalb von sechs Wochen verschwinden, muss man bis zum Beweis des Gegenteils als maligne einstufen, schreiben die Autoren. Neben vergrösserten Lymphknoten ist vor allem mit einem Rhabdomyosarkom zu rechnen. Letzteres befällt am häufigsten Kopf (u.a. Orbita), Hals, Extremitäten, Urogenitaltrakt, Becken und Retroperitoneum. Es kann sich auch in Arealen ohne Muskulatur manifestieren und ist das häufigste Weichteilsarkom im Kindesalter. Bei raschem Wachstum wird es meist frühzeitig entdeckt, im Abdomen kann es sich oft länger unbemerkt ausbreiten.
Regel 5
Für unklare Beschwerden jeglicher Art gilt: Spätestens nach sechs Wochen ist eine Klärung der Dignität angezeigt. Viele Tumoren lösen Symptombilder aus, die sich nicht einer bekannten Erkrankung zuordnen lassen. Deshalb raten die Verfasser, bei atypischen Kombinationen, anhaltenden Krankheitszeichen oder fehlender Besserung die bisherige Diagnose infrage zu stellen. Neben Krebs kommen auch seltenere andere Auslöser (Störungen) in Betracht.
Malignome im Kindesalter
- Leukämien (30 %) und Lymphome (14 %)
- Hirntumoren (24 %)
- periphere Blastome, z.B. an Nerven, Niere, Leber und Retina (14 %)
- Sarkome (11 %)
Allgemein haben Kinder mit Tumoren heute eine relativ gute Prognose – mehr als 80 % der Betroffenen überleben 15 Jahre oder länger. Allerdings metastasieren die Malignome im jungen Alter besonders früh. Und je weiter fortgeschritten der Krebs, desto schwerwiegender können die Therapiefolgen ausfallen. Beim Non-Hodgkin-Lymphom, wie das, an dem der junge Patient aus der Kasuistik litt, vergehen im Schnitt nur zweieinhalb Wochen vom lokalisierten zum fortgeschrittenen Stadium. Umso wichtiger ist eine zeitgerechte Diagnostik.
Lewitan L, Burdach S. Monatsschr Kinderheilkd 2021; 169: 13–19; doi: 10.1007/s00112-020-01081-w.