Medical Tribune
17. Sept. 2020Erste Anlaufstelle ist das Internet

Pornos, Spiele, shoppen – Internetsüchtige vom exzessiven Konsum befreien

In der Schweiz sind 50 000 Menschen internetsüchtig. Der Ausstieg ist ähnlich schwer wie bei anderen Abhängigkeitserkrankungen. Erfolg versprechen Psycho- und Pharmakotherapie, wie Dr. Mounira Jabat, Leitende Ärztin an der psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, in ihrem Vortrag am Forum für medizinische Fortbildung Allgemeine Innere Medizin Update Refresher ausführte.

männlicher Spieler, der Strategiespiel auf Computer spielt, der Snacks isst
iStock/Blackregis

Eine Internetsucht hat viele Gesichter: Sie umfasst zwanghaftes intensives Websurfing, exzessives Chatten, Spielen, Online-Shoppen, Filmeschauen sowie Konsumieren von Cybersex und Pornografie. «Pornografie wird auch am Arbeitsplatz konsumiert», sagte Dr. Jabat. 20 % der Männer und 13 % der Frauen schauen sich im Büro erotische Inhalte an. Genutzt wird Pornografie für die sexuelle Erregung. Sie dient aber mitunter auch dazu, Angst- und Depressionssymptome zu reduzieren, eine tabuisierte Sexualität und Gewalt oder narzisstische und romantisierte Fantasien auszuleben.

Die Symptome der Internetsucht sind die gleichen wie bei Substanzabhängigkeitsstörungen. «Es kommt zu einer Einengung des Verhaltensspielraumes, zu Kontrollverlust, Toleranzentwicklung und zu psychischen Beeinträchtigungen, Suchtdruck (Craving) und psychischen Entzugserscheinungen wie Unruhe, Nervosität, Gereiztheit, Aggression», so die Referentin. Dies hat negative soziale Folgen: Es kommt zu Ärger mit Freunden, Familie und Arbeitgeber sowie zu einer zunehmenden Isolierung.

Sucht als Folge einer Verhaltensstörung

Ursache für Sucht ist nicht das Internet. «Hinter der Internetsucht steht ein Vermeidungsverhalten und der Wunsch, der Realität zu entfliehen», erklärte Dr. Jabat. Die Patienten haben häufig Schwierigkeiten mit ihrer Identität, fühlen sich einsam und sind unzufrieden mit ihrem Aussehen. Zur Sucht kommen Komorbiditäten wie z.B. eine Depression oder Angst-/Zwangsstörung, psychosomatische Probleme und Substanzabhängigkeit. Neurologisch stehen wie bei anderen Suchterkrankungen auch bei der Internetsucht drei Neurotransmitter im Vordergrund: körpereigene Opiate, Dopamin und Serotonin.

Ein hilfreiches Tool zur Einschätzung, wie stark die Abhängigkeit oder wie gross die Gefahr ist, internetsüchtig zu werden, bietet die Internet-Suchtskala ISS-20. Der Selbsttest mit 20 Fragen kann im Internet heruntergeladen werden und liefert online auch sogleich das Ergebnis.

«Weil Internetsucht noch nicht vollständig als eigenständige Krankheit anerkannt ist, kann die Klassifizierung mitunter Probleme machen», sagte die Referentin. Im ICD-10 ist eine Codierung für das pathologische Spielen (F63) enthalten, wozu auch das Glücksspiel gehört. Eine Codierung existiert auch für die sexuelle Funktionsstörung (F52.7), zu der die Sexsucht gezählt wird. Im DSM-5 enthalten ist die Internet Gaming Disorder.

«Für viele Internetsüchtige ist das Internet der erste therapeutische Anlaufpunkt», erklärte Dr. Jabat. Denn die Betroffenen haben oftmals keinen Kontakt mehr zur Aussenwelt. Die Behandlung orientiert sich im Grundsatz an der Suchttherapie. Einen grossen Stellenwert hat bei allen psychischen Erkrankungen die Psychoedukation. «Der Patient muss verstehen, worum es bei der Störung genau geht, was sie auslöst und was sie für Partnerschaft, Arbeit, Freizeit und Lebensgenuss bedeutet», betonte die Expertin. Erfolg verspricht auch die kognitive Verhaltenstherapie. Behandlungsziel ist die Entwöhnung. Um dies zu erreichen, ist gelegentlich eine Filtersoftware hilfreich, zum Beispiel wenn ein exzessiver Pornografie-Konsum oder Kaufsucht im Mittelpunkt stehen. Eine weitere Therapieoption sind Antidepressiva. «Bupropion hat einen guten Effekt auf Spielsucht und die Impulskontrolle. SSRI wie Escitalopram wirken insbesondere bei hypersexuellen Störungen, die mit einem erhöhten Pornografiekonsum einhergehen», so die Psychiaterin. Die SSRI führten unter anderem zu einer Libidoreduktion, was einen Teil des Therapieerfolges erklären könnte.