Sommerleiden Gichtanfall
Nachmittags Gartenarbeit, abends Grillfest, nachts höllische Fussschmerzen: Die meisten Gichtanfälle treten im Sommer auf, getriggert durch eine hitzebedingte Exsikkose. Doch in der Regel sprechen sie gut auf die gängigen Therapien an.
Die Hyperurikämie wird als Gicht bezeichnet, sobald sie zu Arthritis und/oder Tophi bzw. Nierenschäden führt, schreibt Professor Dr. Gernot Keysser von der Klinik für Innere Medizin II am Universitätsklinikum Halle. Die häufigste Ursache ist eine genetisch bedingte, verminderte renale Ausscheidung der Harnsäure. Seltener treten sekundäre Formen infolge von erhöhtem Zellumsatz (z.B. beim Tumorlysesyndrom oder der Psoriasis), Niereninsuffizienz, Laktatazidose oder Medikamenten (s. Kasten unten) auf. Die akute Arthritis entsteht durch die Ausfällung von Harnsäurekristallen im Gelenk. Bei der chronischen Form bilden sich Tophi in Knochen, Gelenken und Weichteilen, die zu einem destruktiven Verlauf mit Knochenerosionen führen können.
Oftmals Podagra als erste Manifestation
Gichtanfälle entwickeln sich bei akut verminderter Harnsäureausscheidung, z.B. durch eine Exsikkose, oder bei einer vermehrten Zufuhr (purinreiche Kost). Zwei Drittel der erstmalig auftretenden Attacken manifestieren sich im Grosszehengrundgelenk (Podagra). Auch Mittelfuss (Tarsitis), Sprung- und Kniegelenke werden häufig befallen. Typisches Zeichen: massive, vor allem nachts auftretende Schmerzen sowie eine ausgeprägte Berührungsempfindlichkeit. Zusätzlich entwickeln Betroffene nicht selten Fieber und Schüttelfrost. Frauen erkranken selten vor der Menopause, haben seltener eine akute Podagra und häufiger einen polyartikulären Befall inkl. der Hände.
Gicht durch Medikamente
- Diuretika: Exsikkose, Interaktion mit renalen Urat-Transportern
- niedrig dosiertes ASS, Ciclosporin, Pyrazinamid:
- Interaktion mit renalen Urat-Transportern
- Chemotherapeutika: Vermehrter Anfall von Harnsäure durch Zellzerfall
- Testosteron: verminderte Harnsäureausscheidung
Der akute Gichtanfall lässt sich meist bereits anhand der Klinik erkennen. Beweisend ist die Gelenkpunktion, die intrazelluläre Uratkristalle in den Neutrophilen der Synovialflüssigkeit zeigt. Die Episoden klingen üblicherweise innerhalb weniger Tage von selbst ab. Beachten muss man die in der Akutphase häufig normalen Harnsäurespiegel (zwischen den Attacken kontrollieren).
Für den Übergang in eine chronische Gicht sprechen zunehmend kürzere Intervalle zwischen den Anfällen und eine Ausdehnung auf immer mehr Gelenke (und Schleimbeutel). Auch Hand- und Fingergelenke werden oft befallen, im Gegensatz zur rheumatoiden Arthritis aber nicht symmetrisch. Ohne harnsäuresenkende Therapie drohen schwere Destruktionen.
Sonografisch lässt sich bei akuter und chronischer Gicht das sogenannte Doppelkonturzeichen erkennen, das Harnsäureablagerungen auf dem Knorpel entspricht. Das Röntgenbild zeigt erst bei chronischem Verlauf spezifische Veränderungen wie Defekte im gesunden Knochen und gelenknahe Tophi (s. Abb. unten).
Zur Therapie des akuten Gichtanfalls eignet sich Colchicin. Es ist in einer Dosierung bis 2 mg/d wirksam und verträglich, versichert Prof. Keysser. NSAR und Glukokortikoide lassen sich bei typischen Begleiterkrankungen wie Diabetes, Hypertonus und Niereninsuffizienz nur eingeschränkt nutzen bzw. verbieten sich. Unter den NSAR zeigt sich Etoricoxib (1 x 120 mg/d) ebenso effektiv, aber verträglicher als 3 x 50 mg/d Indomethazin, so die Erfahrung des Rheumatologen. Bei Celecoxib bevorzugt er wegen der besseren Wirksamkeit die höhere Dosierung (2 x 400 mg/d). Zur Steroid-Behandlung eignet sich eine Tagesdosis von 30 mg Prednisolon, eventuell aufgeteilt auf 20 mg morgens und 10 mg abends. Das Steroid kann nach fünf bis sieben Tagen ohne Ausschleichen wieder gestoppt werden.
Eine harnsäuresenkende Therapie empfiehlt sich bereits nach dem ersten Gichtanfall sowie bei chronischer Arthritis, Tophi und Nierensteinen. Auch die Hyperurikämie bei eingeschränkter Nierenfunktion zählt zu den Therapieindikationen. Als Ziel gilt eine dauerhafte Reduktion der Serumharnsäure unter 360 µmol/l. Bei schwerer Gicht sollte man sogar einen Spiegel unter 300 µmol/l anstreben, um die Rückbildung der Tophi zu erleichtern.
Xanthinoxidasehemmer als erste Wahl
Mittel der Wahl sind Xanthinoxidasehemmer, vor allem Allopurinol. Die Startdosis von 100 mg/d kann man nach zwei bis vier Wochen um 100–200 mg steigern, bis der Wert im Zielbereich liegt. Bei Nierengesunden können Dosierungen bis 900 mg/d zum Einsatz kommen.
Besonders wichtig ist die einschleichende Dosierung für Patienten mit beeinträchtigter Nierenfunktion. Denn bei ihnen tritt das Allopurinol-Hypersensitivitätssyndrom unter einer hohen Initialdosis häufiger auf. Diese seltene Komplikation beginnt Wochen bis Monate nach dem Therapiestart mit Hautausschlägen, Juckreiz und Eosinophilie. Sie kann bis zur toxischen epidermalen Nekrolyse (Lyell-Syndrom) fortschreiten. Vorsichtshalber sollte Allopurinol bei jedem neu aufgetretenen Exanthem abgesetzt werden.
Harnsäure oder Bakterien?
Die wichtigste Differenzialdiagnose des akuten Gichtanfalls ist die septische Arthritis. Beide machen sich mit Gelenkrötung, Fieber und hoch akutem Beginn bemerkbar. Allerdings manifestiert sich die septische Arthritis vorwiegend bei Patienten mit vorgeschädigtem Gelenk, Endoprothese, Immunsuppression bzw. nach Eingriffen mit Bakteriämie (Zahnextraktion).
Als Alternative bietet sich Febuxostat an, es hemmt die Harnsäure in niedrigeren Dosen (80 bzw. 120 mg) stärker als 300 mg/d Allopurinol und führt seltener zu einem Hypersensitivitätssyndrom. Eine Dosisreduktion ist erst bei einer GFR unter 30 ml/min nötig. Bei kardialen Risiko-Patienten sollte man Febuxostat möglichst vermeiden, rät Prof. Keysser. Denn in einer Studie fand sich darunter eine höhere kardiovaskuläre Sterblichkeit. Dass eine Diät zu einer nachhaltigen und dauerhaften Uratreduktion führt, liess sich nach Einschätzung des Kollegen bisher nicht beweisen.
Nur jeder Dritte bleibt am Ball
Zu Beginn der harnsäuresenkenden Therapie können Gichtanfälle häufiger auftreten. Deshalb wird in den ersten drei bis sechs Monaten eine Prophylaxe mit Colchicin (0,5–1 mg/d) empfohlen. Alternativ kommen NSAR und niedrig dosiertes Prednisolon (max. 5 mg/d) in Betracht.
Eine therapierefraktäre Gicht entsteht meist durch mangelnde Compliance. Ein Jahr nach dem Beginn der Behandlung nimmt nur noch ein Drittel der Patienten Allopurinol ein. Als Reservemedikament für Patienten mit mindestens drei Gichtanfällen im Jahr und unzureichendem Ansprechen auf Colchicin, NSAR oder Steroide (bzw. Kontraindikationen) eignet sich der Interleukin-1-Hemmer Canakinumab.
Quelle Text: Keysser G.
«Die Gichtarthritis: Pathogenese, Diagnostik
und Behandlung», Dtsch Med Wochenschr 2020; 145: 991-1005; doi: 10.1055/a-1036-8348
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