Diabetes bei HIV-Patienten
Seit Beginn der hochaktiven antiretroviralen Therapie (HAART) im Jahre 1996 ist die AIDS-Mortalität zurückgegangen. Professor Dr. Phyllis C. Tien, University of California, San Francisco, betonte, dass über 50% aller HIV-Patienten in den USA heute älter als 50 Jahre alt sind. Mit Beginn der HAART sind andere Probleme in den Vordergrund getreten. Dazu gehören Lipodystrophie, Insulinresistenz und Dyslipidämie.
Bedingt waren diese Probleme durch ältere Virostatika wie Zidovudin, Didanosin und Stavudin und v. a. durch den zunehmenden Einsatz von Protease-Inhibitoren (PI). Etwa induzierte eine Therapie mit Indinavir sogar bei gesunden HIV-seronegativen Männern bereits innerhalb von vier Wochen eine Insulinresistenz.
Mit den Integrasehemmern hat das diesbezügliche Risikopotenzial deutlich abgenommen. Empfohlen werden heute PI-freie Startregimes wie Dolutegravir/Tenofovir/Emtricitabin. Bleibt die HIV-Infektion trotzdem ein Risikofaktor für Diabetes?
Altersassoziierte Komorbiditäten im Fokus
Die Amsterdamer Kohorten-Studien (ACS) weisen darauf hin, dass HIV-positive Patienten unter HAART auch heute noch häufiger einen Diabetes entwickeln als eine in Alter, BMI und anderen Risikofaktoren vergleichbare HIV-negative Kohorte. Es gibt weitere Kohortenstudien, die dies bestätigen, aber auch andere, die kein erhöhtes Diabetesrisiko für HIV-Patienten fanden. Doch mit der steigenden Lebenserwartung rücken nun altersassoziierte Komorbiditäten in den Mittelpunkt, zu denen neben dem Diabetes kardiovaskuläre Krankheiten und Niereninsuffizienz gehören.
Eine persistierende Inflammation könnte auch bei virussupprimierten HIV-Patienten ein treibender Faktor für die Entwicklung dieser Krankheiten sein. Aus experimentellen Daten geht hervor, dass eine CD4-Zell-Depletion im lymphatischen Gewebe des Darmes die Mukosabarriere schwächt. So können Mikroben leichter hindurchwandern und eine Immunantwort und Entzündung hervorrufen. Tatsächlich scheint der Prozess der Bakterientranslokation und Immunaktivierung assoziiert zu sein mit der Entwicklung von Diabetes bei HIV.
Was bedeutet die Assoziation zwischen HIV-Infektion und Diabetes für die Therapie? Professor Dr. Todd Brown, John Hopkins University, Baltimore, empfahl, den Nüchternblutzucker vor Beginn der antiretroviralen Therapie und anschliessend jährlich zu bestimmen. Bei Patienten mit gestörter Nüchternglukose sollte ein Glukosetoleranztest erfolgen, um die Diagnose abzusichern. Explizit wies Prof. Brown darauf hin, dass der HbA1c-Wert bei HIV-Patienten die Glykämie unterschätzen lässt, da diese Patienten einen anormalen Erythrozyten-Turn-over aufweisen. Deshalb muss auch der individuelle Zielwert um 0,1–1% nach unten korrigiert werden.
Zu beachten ist, dass HIV-Patienten nach Beginn einer HAART, insbesondere mit Integrasehemmern, deutlich an Gewicht zunehmen. Eine frühere Therapie mit älteren NRTI* und PI, die eine Insulinresistenz induzieren, kann durchaus auch einen Legacy-Effekt nach sich ziehen. Insulinresistenz ist zudem bei zentraler Lipohypertrophie zu befürchten.
Die Diabetestherapie selbst unterscheidet sich nicht wirklich von der bei Nicht-HIV-Patienten. Metformin bleibt First-Line-Medikament. Es kann auch Lipohypertrophie und Koronarplaques positiv beeinflussen. Eine wichtige Interaktion: Dolutegravir erhöht die Metformin-Konzentration um etwa 80%!
Insgesamt brauchen HIV-Patienten ein stringentes multifaktorielles kardiovaskuläres Risikomanagement. Bei Statinen muss das Interaktionsrisiko mit PI beachtet werden. Simvastatin und Lovastatin (in der Schweiz nicht registriert) sind daher kontraindiziert bei PI-Einnahme. Keine Probleme gibt es bei Pravastatin und Fluvastatin. Unklar ist die Lage für Atorvastatin und Rosuvastatin. Deshalb sollte die Dosis von Atorvastatin auf max. 20mg, die von Rosuvastatin auf max. 10mg limitiert werden.
* Nukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren
78th Scientific Sessions der ADA