Trauernden Patienten den Abschied erleichtern
Menschen mit einer komplizierten Trauerreaktion erleben Schmerz und Trauer besonders intensiv. Sie können den erlittenen Verlust nicht glauben und akzeptieren. Der Trauerprozess dauert bei ihnen viel länger, als es den jeweiligen sozialen Normen entspricht, und er beeinträchtigt den Alltag der Betroffenen erheblich, beschreibt es Dr. M. Katherine Shear von der Columbia University School of Social Work, New York, im "New England Journal of Medicine".
Komplizierte Trauer geht einher mit weiteren Gesundheitsproblemen wie Schlafstörungen, Tabak-, Alkohol- oder Substanzmissbrauch, Selbstmordgedanken, suizidalem Verhalten und Störungen der Immunfunktion. Zudem ist das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und Krebs erhöht. Eine komplizierte Trauerreaktion kann immer auftreten, wenn ein nahestehender Mensch gestorben ist. Sie wird mit einer Prävalenz von 10 bis 20 % nach dem Tod des Lebenspartners beobachtet – bei Eltern, die ein Kind verloren haben, noch häufiger.
Gewaltsamer Tod ruft komplizierte trauer besonders oft hervor
Eine komplizierte Trauer tritt mit grösserer Wahrscheinlichkeit nach einem gewaltsamen Tod auf – z.B. nach Suizid, Mord oder einem tödlichen Unfall. Über 60-jährige Frauen tendieren besonders oft zum "Gefangensein im Schmerz". Experten gehen davon aus, dass die komplizierte Trauer multifaktoriell bedingt ist, wobei eine affektive oder Angststörung in der Vorgeschichte, Alkohol- oder Medikamentenmissbrauch sowie multiple Verlusterlebnisse als Risikofaktoren gelten.
Auch persönliche Umstände des Hinterbliebenen können die Gefahr erhöhen, z.B. wenn schwere Konflikte mit Angehörigen oder Freunden hinzukommen, ein tragfähiges soziales Netz fehlt oder nach dem Todesfall finanzielle Probleme bestehen.
Vorerkrankung erhöht Risiko
Wie stellen Sie nun die Diagnose? Gerade ältere Patienten sollte man auch bei Routinekontakten nach entsprechenden Verlusterlebnissen befragen, rät die Autorin. Manche Patienten schämen sich wegen ihrer persistierenden intensiven Trauer, daher sollten Ärzte direkt, aber einfühlsam und empathisch danach fragen. In manchen Fällen bereitet es Probleme, zu beurteilen, ob eine Trauerreaktion noch als normal oder bereits als kompliziert/prolongiert einzustufen ist, da es hier auch erhebliche kulturelle Unterschiede gibt. Zumindest in den USA bieten viele Ärzte schon sechs Monate nach dem Todesfall eine Behandlung wegen komplizierter Trauer an.
Randomisierte, kontrollierte Studien haben ergeben, dass Psychotherapie bei komplizierter Trauer wirksam ist, daher gilt sie als Methode erster Wahl. Eine spezielle Kurzzeitmethode ("Complicated grief treatment") zielt einerseits darauf ab, den Verlust zu verarbeiten – indem man mit dem Patienten nach Wegen sucht, an den Tod zu denken, ohne dass dabei intensive Gefühle wie Wut, Schuld oder Angst wachgerufen werden.
Psyhotherapie: KVT effektiv
Andererseits unterstützt man den Trauernden dabei, Alltagsaktivitäten wiederaufzunehmen und Pläne für die Zukunft zu schmieden. In Studien schnitt diese Kurzzeitmethode hinsichtlich der Ansprechraten signifikant besser ab als eine konventionelle Psychotherapie. Unabhängig davon, für welche Methode man sich entscheidet, sollte eine Psychotherapie Menschen mit komplizierter Trauerreaktion auf jeden Fall dabei unterstützen, den Verlust zu akzeptieren und Strategien zu erarbeiten, mit denen das zukünftige Leben gelingen kann.
Die klinische Erfahrung zeigt, dass auch eine Therapie mit Anti-Depressiva in Betracht gezogen werden sollte, auch wenn entsprechende randomisierte Studien fehlen. Sie erfolgt entweder in Kombination mit einer Psychotherapie oder als Monotherapie, wenn der Patient keinen Zugang zu einer Psychotherapie hat oder diese ablehnt.
Quelle: M. Katherine Shear, N Engl J Med 2015; 372: 153-160; DOI: 10.1056/NEJMcp1315618