Antidementiva, Vitamin-Ersatz oder neue Blutdruckmedikation?
"Nichts zu machen", das trifft auf Demenzerkrankungen heute längst nicht mehr zu. Doch bevor Sie eine adäquate Therapie starten, gibt es ein differenzialdiagnostisches Standardprogramm zu erledigen. Dazu gehört Labordiagnostik zum Ausschluss internistischer Erkrankungen als Demenz-Ursache. Blutbild, Elektrolyte, Leber-, Nieren- und Schilddrüsenwerte sowie Vitamin B12 und Folsäure werden immer bestimmt, weitere Parameter je nach Verdachtsdiagnose.
10 % aller Demenzsyndrome potenziell reversibel
Zudem bedarf es immer der zerebralen Bildgebung, um neurochirurgisch behandelbare Leiden aufzudecken. Immerhin rund 10 % aller Demenzsyndrome gelten als potenziell reversibel, betont Professor Dr. Frank Jessen von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Bonn.
Nach Ausschluss einer allgemeininternistischen Ursache folgen Überlegungen zu spezifischen Demenzformen und deren Therapie. Bei Alzheimer-Demenz – gekennzeichnet durch verschlechtertes Kurzzeitgedächtnis in der frühen Phase und allmählich fortschreitende Probleme mit Orientierung und Alltagskompetenz – gibt es kein kausales Konzept, das die Neurodegeneration stoppt. Beeinflussen lässt sich aber die Neurotransmitter-Modulation.
Beseitigen Sie Demenz-Ursachen
Prüfen des Medikamentenplans: Die Kognition wird eventuell durch anticholinerge Substanzen (z.B. trizyklische Antidepressiva, Neuroleptika, Antihistaminika), sedierende Pharmaka (Benzodiazepine!) oder stark blutdrucksenkende Substanzen beeinträchtigt.
Behandlung von Grunderkrankungen wie:-
Diabetes mellitus
- Hypertonie, KHK, Herzinsuffizienz Ernährungsprobleme mit B12 oder Folsäuremangel
- Dehydrierung
Mit Cholinesterasehemmern Verlauf hinauszögern
Acetylcholinesterasehemmer wie Rivastigmin, Donepezil und Galantamin wirken gegen den Transmittermangel, der durch Degeneration cholinerger Kerngebiete entsteht. Am besten wirken Cholinesterasehemmer, wenn man die höchstmögliche Dosierung erreicht. Die Substanzen können den Verlauf um sechs bis zwölf Monate parallel verschieben und werden immerhin auch vom IQWiG als nutzenrelevant gewürdigt.
Memantin zielt hingegen auf eine verbesserte glutaminerge Neurotransmission. Dieser Wirkstoff verfügt über Wirksamkeitsbelege bei mittlerer und schwerer Demenz und erreicht ebenfalls einen Aufschub im Verlauf um sechs bis zwölf Monate.
Nach neuen Daten einer industrieunabhängigen Studie an Patienten unter mehrjähriger Therapie lohnt sich die Langzeitbehandlung selbst bei progressiver Demenz. Nach Absetzen von Donepezil wiesen Alzheimerkranke gegenüber weiter behandelten Leidensgenossen eine Verschlechterung ihrer Symptome auf. Bei fortschreitendem Krankheitsbild stellt auch die Kombination von Donepezil und Memantin eine Option dar.
Vaskuläre Demenz: Antidementiva off label einsetzen
Ginkgo biloba bessert möglicherweise Verhaltenssymptome. Und das Nahrungsergänzungsmittel Fortasyn® hat nach neuen Daten positive Effekte auf das Gedächtnis – allerdings nur bei leichter Demenz.
Für Patienten mit vaskulärer Demenz gibt es keine speziell zugelassenen Pharmaka. Allerdings zeigen die genannten Antidementiva auch bei ihnen einen gewissen Nutzen, weshalb man sie off label einsetzt. Studien an Patienten mit gemischter Demenz (Alzheimer/vaskulär) belegen Effekte für Ginkgo biloba (EGb 761®) auf Kognition, Alltagsfunktion und Verhalten.
Die Demenz beim Parkinson betrifft weniger das episodische Gedächtnis als Exekutivfunktionen, Aufmerksamkeit und Visuokonstruktion. Als typisch gelten zudem starke Fluktuationen. Zur Therapie eignet sich Rivastigmin. Auch für Lewy-Körperchen-Demenz empfiehlt Prof. Jessen diese Substanz (trotz fehlender Zulassung). Gleiches gilt für die Applikationsform "Pflaster", welche der Kollege für sinnvoll hält.
SSRI bei frontotemporaler Demenz ausprobieren
Die frontotemporale Demenz,, die oft unter 65-Jährige betrifft, ist durch eine starke Persönlichkeitsveränderung charakterisiert: Enthemmung, Empathieverlust, Apathie und fehlende Krankheitseinsicht dominieren, evtl. begleitet von Problemen mit Sprachproduktion und Sprachverständnis. Antidementiva schlagen bei frontotemporaler Demenz überhaupt nicht an. Möglicherweise helfen SSRI wie Citalopram (max. 20 mg täglich). Unter dieser Therapie gilt es, die QT-Zeit zu überwachen.
Was tun bei Psychose und Aggression?
Psychische Symptome und Verhaltensstörungen empfiehlt Prof. Jessen zunächst nicht pharmakologisch anzugehen: Individuelle Programme zur sozialen Einbindung, körperlichen und geistigen Aktivierung sowie eine ausgewogene Ernährung bringen als Grundpfeiler der Demenztherapie auch hier grossen Nutzen.
Zur Pharmakotherapie von Depressionen empfehlen sich Antidepressiva ohne anticholinerge Eigenschaften (gute Evidenz für Sertralin). Gegen schwere therapierefraktäre Depressionen setzt man auch die Elektrokrampftherapie ein.
Psychotisches Erleben, aggressives und agitiertes Verhalten verlangt möglicherweise die (vorübergehende!) Gabe von Neuroleptika. Zur Behandlung von Alzheimerkranken mit diesen Symptomen besitzt Risperidon eine Zulassung (EKG-Kontrollen erforderlich!). Auch Citalopram kann agitiertes Verhalten mildern.
Quelle: Frank Jessen, Der Internist 2014; 55: 769-774