Mit Rückenmark-Stimulator aus dem Rollstuhl?
Ursprünglich wollten die amerikanischen Wissenschaftler Querschnittgelähmten nur Bewegungen beibringen, die "automatisch" in lokalen Schaltkreisen des Rückenmarks ohne Input vom Gehirn funktionieren. Für ihre Forschung wählten sie als "Pilot-Patienten" einen jungen Mann mit kompletter motorischer Parese der Beine und noch schwach vorhandener sensorischer Aktivität unterhalb der thorakalen Rückenmarksverletzung.
Diesem Patienten wurden 16 Stimulationselektroden ins Rückmark implantiert. Damit wollte man den Reiz für die Auslösung einer Muskelaktivität während des sensorischen Inputs beispielsweise beim Stehen in einem Hängegurt erhöhen. Während Trainer die Beine des Patienten beim Stehen und Gehen unterstützten, gaben die Elektroden genau unterhalb der Rückmarksverletzung elektrische Impulse ab.
Erfolgreiche Therapie auch nach Jahren noch möglich
Wenn der Stimulator aktiv war, konnte der Patient nach einiger Zeit wieder ohne fremde Hilfe vier Minuten lang stehen. Und nach sieben Trainingsmonaten tat sich Erstaunliches: Der junge Mann war trotz Querschnitt auf einmal wieder in der Lage, einige bewusste, willentlich gesteuerte Bewegungen mit seinen Beinen auszuführen. Der "Wille" dazu musste aus dem Gehirn kommen – obwohl der Weg zu den Beinen eigentlich durch die Rückenmarksverletzung unterbrochen war. Wie dies trotzdem funktionieren kann, ist bisher ein Rätsel.
Und der Pilotpatient blieb nicht allein: Das Experiment mit der epiduralen Stimulation gelang auch bei drei weiteren jungen Männern, die ebenfalls seit mehr als zwei Jahren gelähmt waren, darunter zwei mit kompletter motorischer und sensorischer Paralyse. Sie alle können wieder einfache willkürliche Bewegungen durchführen, z.B. Knie und Zehen beugen oder ein Bein anheben.
Offensichtlich handelt es sich hier um ein reproduzierbares Phänomen, bei dem möglicherweise "schlafende" Verbindungen zwischen Rückenmark und Gehirn zum Leben erweckt werden. Damit könnten sich ganz neue Perspektiven für Querschnittgelähmte ergeben, meinen die Forscher, die Zeit des "therapeutischen Nihilismus" scheint vorbei zu sein.
Quelle: Claudia Angeli et al., Brain 2014; online first