Sadismus: Jeder vierte hat Appetit auf Töten
Normale Menschen vermeiden es, anderen Schmerzen zuzufügen, und wenn sie es doch unabsichtlich tun, spüren sie Bedauern und Schuldgefühle.
Anderen Personen dagegen bereitet es emotionale Befriedigung oder sogar sexuelle Lust, Menschen oder Lebewesen leiden zu sehen. Und das müssen keineswegs Serienkiller oder Sexualverbrecher sein, betonen Dr. Erin Buckels und Kollegen von der Universität von British Columbia in Vancouver.
Anstelle der bekannten "dunklen Triade" der Persönlichkeit (s. Kasten) gibt es vier Schattenseiten des menschlichen Wesens, wie die Psychologen in zwei aktuellen Studien zutage brachten. Für ihren ersten Versuch rekrutierten sie rund 70 Psychologie-Studenten und baten diese, an einer "Untersuchung zur Persönlichkeit und Belastbarkeit für herausfordernde Jobs" teilzunehmen.
Kellerasseln zerquetschen beliebter als Putzen
Die Probanden mussten zwischen mehreren unangenehmen Aufgaben wählen:
- Kellerasseln zu töten,
- beim Töten der Tierchen zu helfen,
- dreckige Toiletten zu putzen,
- Kälte (Schmerzen in Eiswasser) auszuhalten.
Die drei zu meuchelnden Lebewesen sassen in kleinen Bechern, auf denen sogar ihr Name aufgeschrieben war: "Muffin", "Ike" und "Tootsie" hiessen die Todeskandidaten. Das Töten sollte mit einer Art Kaffeemühle erfolgen: Die Probanden mussten die Lebewesen in einen Behälter werfen und sie durch Herunterdrücken eines Hebels zerquetschen.
Um die Grausamkeit des Experiments zu erhöhen, war die vermeintliche Exekution von einem vernehmlich krachenden Geräusch begleitet. Was die Teilnehmer nicht wussten: Der Quetschvorgang in dem Gefäss wurde rechtzeitig gestoppt, Muffin, Ike und Tootsie wurde in Wahrheit kein Härchen gekrümmt.
Wie entschieden sich nun die 71 Probanden? 12,7 % wählten die Schmerz-Toleranz-Aufgabe, 33,8 % das Kloputzen, aber je 26,8% wollten töten bzw. dabei assistieren.
Sadisten neigen zu unprovozierter Aggression
Beim Abgleich mit psychologischen Tests, die vor dem Experiment erfolgt waren, stellten die Forscher fest, dass die freiwilligen Killer die höchsten Scores im Hinblick auf sadistische Eigenschaften erzielt hatten. Je höher diese Scores ausfielen, umso eher war ein Proband bereit, Asseln zu zerquetschen – selbst wenn er sich eigentlich vor solchem Getier gruselte.
In einer zweiten Studie ging es um die Neigung zur Aggression gegenüber unschuldigen Menschen. Gemessen wurde die Bereitschaft, in einem Spiel eine Person mit "white noise" zu attackieren, 75 Psychologie-Studenten nahmen an diesem Experiment teil. Was herauskam: Probanden, denen Tests sadistische Persönlichkeitszüge bescheinigten, waren deutlich mehr als andere zu unprovozierter Aggression bereit.
Nur Sadisten arbeiten, um quälen zu dürfen
Weitere aufschlussreiche Ergebnisse im Detail: Im ersten Ansatz durften die Probanden ihr Gegenüber nach jeder gewonnenen Spielpartie mit dem Lärm bestrafen. Im Ansatz Nummer zwei musste sich der Teilnehmer die Möglichkeit zu strafen erst durch Extraarbeit (Lösen bestimmter Aufgaben) verdienen.
Was sich hierbei zeigte: Nur Sadisten verstärkten die Lärmattacken, wenn sie merkten, dass das Opfer sich nicht wehrte. Auch nur sie waren bereit, für ihren Spass am Quälen Extraarbeit zu investieren.
Neue Ansätze gegen häusliche Gewalt
Diese Daten zeigen, dass Sadismus sich in einem weitaus grösseren Ausmass als bisher angenommen im täglichen Leben wiederfindet und dass nicht wenige Menschen quasi "Appetit darauf haben, andere leiden zu lassen," und einen Lustgewinn daraus ziehen. Dies passt zur verbreiteten Beliebtheit grausamer Filme, Videospiele und Sportarten.
Die Kollegen hoffen, dass ihre neuen Erkenntnisse dabei helfen, Strategien gegen häuslichen Missbrauch, Schikanen in Schulen und am Arbeitsplatz, Tierquälerei und Brutalität bei Polizei und Militär zu entwickeln.
Dunkler Dreiklang wird zum Vierklang
- Die "dunkle Triade" bezeichnet Eigenschaften des Menschen, die nicht als krankhaft, sondern als Normvarianten gelten. Unterschieden werden drei Persönlichkeitstypen, die ihr eigenes Wohl in extremem Ausmass über das anderer Menschen erheben und dafür sozusagen über Leichen gehen.
- Der Narzisst überhöht sich selbst, sein Ziel: Bewunderung.
- Der Machiavellist ist herrschsüchtig, zeigt manipulatives Verhalten, benutzt andere Menschen, um seine Ziele zu erreichen.
- Der Psychopath ist impulsiv, gefühllos, sieht andere als Objekt, fürchtet keine Konsequenzen und besitzt erhöhtes kriminelles Potenzial.
Die kanadischen Autoren möchten aus der Triade einen dunklen Vierklang machen und den Sadisten hinzufügen.
Quelle: Erin Buckels et al., Psychological Science 2013; online first