Medical Tribune
1. Aug. 2013Die innere Uhr

Zirkadiane Uhren ticken im ganzen Körper

Ein inneres Uhrwerk sorgt dafür, dass viele Vorgänge im menschlichen Körper einem 24-Stunden-Rhythmus folgen. Am offensichtlichsten ist der Schlaf-Wach-Rhythmus, aber auch viele endokrine Prozesse wie z.B. die Produktion von Cortisol und Melatonin sowie zentralnervöse Funktionen zeigen einen klaren, endogen gesteuerten Tagesrhythmus, schreiben Dr. Jana Husse und Kollegen vom Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, Göttingen.

Da Vinci Vitruv
iStock/EdnaM

Zentraler Schrittmacher sitzt im Hypothalamus

Werden diese Rhythmen gestört – etwa weil man einen Langstreckenflug nach Osten oder Westen zurückgelegt hat und die innere Uhr nicht mehr zur "äusseren" passt – kommt es zu verschiedenen Symptomen, die als Jetlag bekannt sind. Bei Schichtarbeitern, die über längere Zeit gezwungen sind, entgegen ihrer inneren Uhr nachts aktiv zu sein, führt die Störung der zirkadianen Rhythmik zu einem vermehrten Auftreten von Herz-Kreislauf-Symptomen, Übergewicht, Typ-2-Diabetes und Krebs. Umgekehrt können sich Erkrankungen wie Malignome, Depressionen, Schizophrenie oder Morbus Alzheimer auf das zirkadiane System auswirken, sodass z.B. Schlafstörungen resultieren.

Der zentrale zirkadiane Schrittmacher liegt im ventromedialen Hypothalamus, genauer im Nucleus suprachiasmaticus (SCN). Die Nervenzellen des SCN exprimieren rhythmisch Uhrengene. Auch in peripheren Organen wie Leber, Pankreas, Niere, Nebenniere, Herz und Lunge konnten molekulare zirkadiane Rhythmen nachgewiesen werden. Diese peripheren Uhren werden von der Zentraluhr im Hypothalamus sowohl untereinander als auch mit dem externen Tagesrhythmus synchronisiert.

Warum nachts essen besonders stark anschlägt

Wichtigster externer zirkadianer Zeitgeber ist das Licht. Lichtinformationen gelangen vom Auge über den retino-hypothalamischen Trakt in den Nucleus suprachiasmaticus, werden dort verarbeitet und als Zeitsignal an den Körper weitergeleitet. Periphere Uhren können zusätzlich durch Nahrungsaufnahme synchronisiert werden. Wer nachts – also in der inaktiven Phase des Tages – isst, entkoppelt zentrale und innere Uhren und hat ein erhöhtes Risiko für Übergewicht und Diabetes.

Wie periphere Uhren physiologische Vorgänge regulieren, wurde in den letzten Jahren vor allem in Tierexperimenten untersucht. So konnten die Autoren zeigen, dass die Nebennierenuhr eine wichtige Rolle in der Regulation der tagesrhythmischen Cortisolausschüttung und in der Synthese von Aldosteron spielt. Zahlreiche weitere Hormone zeigen eine bestimmte Tagesrhythmik, etwa Melatonin, Prolaktin, Wachstumshormon und Schilddrüsenhormone sowie verschiedene Adipokine und Zytokine.

Auch für die Regulation des Energiestoffwechsels sind die peripheren Uhren von Bedeutung. So sind viele hepatische Enzyme der Glykolyse und Glukoneogenese uhrenreguliert. Die Leberuhr beeinflusst zudem über die genetische Regulation von Cytochrom-P450-Enzymen hepatische Transformations- und Detoxifikationsvorgänge und modifiziert auf diese Weise Bioverfügbarkeit und Verträglichkeit zahlreicher Medikamente.  

Uhr im Pankreas reguliert die Insulinproduktion

Uhren in der Bauchspeicheldrüse sind entscheidend an der Regulation der Insulinproduktion beteiligt. Dies könnte erklären, warum Störungen des zirkadianen Rhythmus – genetisch oder extern durch Schichtarbeit bedingt – die Entwicklung von Diabetes begünstigen.

Auch zentralnervöse Funktionen unterliegen der Kontrolle des zirkadiane Systems. So konnten Uhren-Gen-Rhythmen in verschiedenen Hirnbereichen nachgewiesen werden, wo sie den Schlaf-Wach-Rhythmus, aber auch kognitive und Verhaltensprozesse beeinflussen. Kognitive Prozesse unterliegen u.a. der Regulation durch Uhren der Hirnrinde und des Hippocampus. Stimmungszustände werden ebenfalls  durch das zirkadiane Uhrwerk beeinflusst.

Beispielsweise liegt der sogenannten Winterdepression eine zirkadiane Deregulation aufgrund der verkürzten Lichtperiode in den Wintermonaten zugrunde. Chronotherapeutische Massnahmen wie Lichttherapie und Melatoningabe können hier sehr hilfreich sein.

Quelle: Jana Husse et al., Dtsch Med Wochenschr 2013; 138: 493-496