Medical Tribune
2. Apr. 2013Die Akupunkturnadeln

Vorsicht mit Akupunktur bei oral antikoagulierten Patienten

Bevor man zu Akupunkturnadeln greift, sollte man Patienten nach einer Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten fragen. Liegen die INR-Werte nicht stabil im therapeutischen Bereich, ist die Nadelung kontraindiziert.

Eine 72-jährige Patientin wurde aufgrund von Vorhofflimmern mit Phenprocoumon behandelt. Ihr INR-Wert schwankte erheblich (zwischen 2,3 und > 5,6), sodass ihr Hausarzt immer wieder die Dosis nachjustieren musste. Im gleichen Zeitraum schlug eine Orthopädin zur Behandlung chronischer Rückenschmerzen eine Akupunktur vor. Die Patientin fragte, ob das denn unter der Phenprocoumon-Medikation möglich sei. Die Orthopädin meinte, bei therapeutischen Quickwerten bestehe keine Gefahr, allenfalls könne es zu leichten Blutungen kommen.

Einblutungen durch Akupunktur-Behandlung!

Nach insgesamt sechs Akupunktur-Behandlungen stellte sich die ältere Dame mit erheblichen Rückenschmerzen und Hämatomen im Bereich der Lendenwirbelsäule in einer Notfallambulanz vor. Der körperliche Untersuchungsbefund lautete: Einblutungen im Steissbereich lumbosakraler Übergang, rechte Flanke sowie oberflächlich rechtes Schulterblatt dorsal".

Nach stationärer Aufnahme zeigte sich, dass der INR-Wert inzwischen auf 9,5 geklettert war. Anschliessend wandte sich die Patientin an die Schlichtungsstelle der norddeutschen Ärztekammer, weil die Orthopädin die Einnahme gerinnungshemmender Medikamente als Kontraindikation nicht beachtet hatte. Dort gab man der Patientin Recht.

Akupunktur kontraindiziert trotz Aufklärung?

Von einer "stabilen Einstellung" konnte man angesichts der INR-Schwankungen und ständigen Dosisanpassungen nicht ausgehen. Man musste damit rechnen, dass ihr INR-Wert plötzlich ansteigt, was mit einem erhöhten Blutungsrisiko bei der Nadelung einhergeht. Die Akupunktur war unter diesen Gegebenheiten kontraindiziert – die Hämatome auf das Fehlverhalten der Orthopädin zurückzuführen. Dass die Ärztin die Patientin über ein möglicherweise erhöhtes Blutungsrisiko aufgeklärt hat, liessen die Gutachter nicht gelten: Eine Kontraindikation kann grundsätzlich nicht durch Aufklärung "überwunden" werden, so ihr Urteil.

Quelle: Johann Neu, Hamburger Ärzteblatt 2013; 67: 34-35