Medical Tribune
3. Nov. 2012Cytochrom-P450-System

Neuropharmaka: Vorsicht, Interaktionen!

Sobald das Cytochrom-P450-System – der Abbauweg vieler Arzneistoffe – im Spiel ist, werden pharmakokinetische Wechselwirkungen komplex. Auch genetische Polymorphismen spielen dabei eine Rolle. Sie machen 5 bis 15 % der Kaukasier zu schlechten und 2 bis 3 % zu ultraschnellen Metabolisierern, erklärte Dr. Gabriel Eckermann vom Bezirkskrankenhaus Kaufbeuren.

Eine Handvoll verschiedener Pillen
iStock/Evgenyi_Eg

Beteiligt ist vor allem CYP 2D6, über das u.a. Risperidon (zu 85 %), Venlafaxin (70 %) und der Betablocker Metoprolol (zu 100 %) verstoffwechselt werden. Ultraschnelle Metabolisierer bauen von solchen Substanzen praktisch überhaupt keine Wirkspiegel auf, bei langsamen Metabolisierern entstehen zwei- bis sechsfach überhöhte Spiegel, je nachdem, ob eine Heterozygotie oder Homozygotie vorliegt.

Tramadol verträgt nicht jeden Betablocker

Geradezu paradoxe Effekte kann die Hemmung des CYP-450-Systems haben, wenn dadurch die Aktivierung von Prodrugs unterdrückt wird. So berichtete Dr. Eckermann von einer Patientin, die mit dem Betablocker Metoprolol behandelt wurde und zur Schmerztherapie Tramadol erhielt. Weil der analgetische Effekt zu wünschen übrig liess, gab man ihr zur Augmentierung Duloxetin dazu. Doch die Besserung blieb aus, stattdessen vestärkten sich die Schmerzen noch. Sowohl Metoprolol als auch Duloxetin inhibieren CYP 2D6, das zur Aktivierung von Tramadol benötigt wird, erklärte der Kollege. Metoprolol wird ausserdem ausschliesslich über CYP 2D6 abgebaut, was den Effekt noch potenziert. Wenn mit Tramadol behandelte Patienten einen Betablocker brauchen, sollte man auf Bisoprolol umsteigen, da es CYP-2D6-"inert" ist.

Patienten nach Phytopharmaka fragen!

Auch mit Phytopharmaka bestehen eventuell Wechselwirkungen: Dass Johanniskraut ein CYP-Induktor ist und auch die Abbauphase II und die Transportproteine herunterreguliert, hat sich inzwischen herumgesprochen, erklärte Dr. Eckermann. Bei Komedikation zum Beispiel mit Quetiapin kann der Wirkspiegel des Antipsychotikums absinken. Interaktionspotenzial hat auch Ginkgo biloba, es induziert CYP 2D19, ergänzte der Referent. Substrate sind u.a. Citalopram, Clozapin und Phenytoin. Teufelskralle, von Arthrose-Patienten gerne gegen Schmerzen angewandt, reduziert die Cumarin-Spiegel eventuell unter die Nachweisgrenze.

Geradezu paradoxe Effekte kann die Hemmung des CYP-450-Systems haben, wenn dadurch die Aktivierung von Prodrugs unterdrückt wird. So berichtete Dr. Eckermann von einer Patientin, die mit dem Betablocker Metoprolol behandelt wurde und zur Schmerztherapie Tramadol erhielt. Weil der analgetische Effekt zu wünschen übrig liess, gab man ihr zur Augmentierung Duloxetin dazu. Doch die Besserung blieb aus, stattdessen vestärkten sich die Schmerzen noch.

Sowohl Metoprolol als auch Duloxetin inhibieren CYP 2D6, das zur Aktivierung von Tramadol benötigt wird, erklärte der Kollege. Metoprolol wird ausserdem ausschliesslich über CYP 2D6 abgebaut, was den Effekt noch potenziert. Wenn mit Tramadol behandelte Patienten einen Betablocker brauchen, sollte man auf Bisoprolol umsteigen, da es CYP-2D6-"inert" ist.

Als weitere problematische Partner für Tramadol nannte der Referent SSRI und MAO-Hemmer: Denn Tramadol hemmt den Noradrenalin-Reuptake und stimuliert die Serotonin-Freisetzung, was zum Serotonin-Syndrom führen kann.

Es gibt auch Substanzen, denen das CYP-Abbausystem nicht ins Gehege kommt. Zu ihnen gehören u.a. Gabapentin, Pregabalin, Memantine, Rivastigmin, Lamotrigin und einige Benzodiazepine. Viele dieser Wirkstoffe, soweit hepatisch eliminiert, gehen ohne Umweg direkt in die Abbauphase II.

Vorsicht mit Neuroleptika bei dementen Patienten

Doch auch bei ihnen kann es zu Wechselwirkungen kommen, warnte Dr. Eckermann. Bei Lamotrigin etwa drohen schwere Hautreaktionen bis hin zur toxischen epidermalen Nekrolyse, wenn der Abbau gebremst wird und die Spiegel unkontrolliert steigen. Wirkstoffe, die eine solche Phase-II-Abbauhemmung induzieren können, sind z.B. Sertralin und Valproat.

Bei der Paarung Cholinesterasehemmer/Anticholinergikum kommt es zu einer pharmakodynamischen Wechselwirkung, bei der die Plasmaspiegel der Wirkstoffe nicht verändert werden. Das Inkontinenz-Mittel konterkariert allerdings die Wirkung des Alzheimer-Medikaments, sodass die Kognition leidet. Das lässt sich relativ leicht umgehen, wenn man ein kaum hirngängiges Anticholinergikum wie Trospium oder Fesoterodin wählt.

Niedrig potente Neuroleptika sollte man dementen Patienten – wegen anticholinerger Effekte – ebenfalls nicht geben, erinnerte Dr. Eckermann.

Sehr wichtig auch bei neurologischer oder psychiatrischer Pharmakotherapie: Sie darf die Therapie anderer Fachkollegen, z.B. die der Onkologen, nicht stören, mahnte der Kollege. Enzyminduktoren wie Carbamazepin, Phenytoin, Phenobarbital oder Johanniskraut können zytostatische Therapien nahezu unwirksam machen.

Krebstherapie durch Wechselwirkung aus Versehen ausgeknipst

Schon vor mehr als zehn Jahren wiesen US-Kollegen darauf hin, dass die Überlebenschancen leuk­ämiekranker Kinder fast dreimal höher sind, wenn sie parallel zur Chemotherapie keine Enzyminduktoren bekommen. "Sie müssen also aufpassen, dass Sie lebenswichtige Therapien nicht durch Induktoren ausknipsen", warnte der Experte. Hilfe bietet hier die kostenpflichtige Datenbank Genemedrx.

Wenn man im Zweifel ist, ob eine Pharmakotherapie so anschlägt wie geplant, sollte man die Spiegel messen, empfahl Dr. Eckermann. Eine aktuelle Übersicht über die Referenzbereiche von Psychopharmaka findet man im Internet (AGNP Consensus Guidelines).

Im Einzelfall sollte man auch in Erwägung ziehen, den Metabolisierungsstatus des Pharmakons per PCR bestimmen zu lassen. Das ist mit 400 bis 1100 Euro nicht billig, räumte der Kollege ein. Man wisse dann aber ein für alle Mal Bescheid, und schwere Arzneimittelnebenwirkungen kämen meist noch teurer.

Per Rauchstopp in die Psychose

Rauchen ist gefährlich – damit aufzuhören manchmal auch. Der Parkinson-Patient, zunächst gut eingestellt auf Ropinirol, landete zehn Tage nach Zigarettenverzicht mit einer akuten L-Dopa-Psychose in der Klinik.
Der Hintergrund: Rauchen, genauer gesagt Benzpyren im Tabakrauch, wirkt als starker Induktor von CYP 1D2, über das fast der komplette Ropinirol-Abbau läuft.CYP-1D2-Substrate verlieren fast 50 % ihres Wirkspiegels, wenn jemand acht bis zehn Zigaretten pro Tag raucht, so Dr. Eckermann. Als der erwähnte Patient beschloss, künftig rauchfrei zu leben, schoss sein Ropinirol-Spiegel auf das Zwei- bis Dreifache in die Höhe.

Quelle: 85. Kongress der Deutschen Geselschaft für Neurologie, Hamburg, 2012