Diabetes und Krebs: Daten verleiten zur Missinterpretation
Einige beruhigende Daten zum Krebsrisiko unter Diabetestherapie gab es bereits in letzter Zeit. Nun wurde eine weitere entwarnende Studie vorgestellt. Speziell Insulin glargin stand in der Vergangenheit immer wieder unter Krebsverdacht.
Diabetes und Krebs: Kausalität umstritten
Der Hersteller Sanofi bemühte sich, die Befürchtungen mit möglichst zuverlässigen Daten auszuräumen. Dies ist auch in weiten Bereichen gelungen, wie Wissenschaftler beim Europäischen Diabeteskongress konstatierten. Einfach ist ein solcher Nachweis nicht. Epidemiologische Daten beschreiben nur Assoziationen; auf die Kausalität lassen sie keine Rückschlüsse zu – siehe das berühmte Beispiel des assoziierten Rückgangs von Geburten und Störchen.
Viele Einflussfaktoren lassen sich gar nicht berücksichtigen, da sie in den Registerstudien nicht bekannt sind. Lebensstil, Körpergewicht oder Diabetestyp können aber natürlich auch das Krebsrisiko beeinflussen.
Basis-Krebsrisiko mit steigendem Alter prinzipiell erhöht
Viele Studienautoren machen es sich auch zu einfach, kritisierte Professor Dr. Jeffrey A. Johnson von der Edmonton-Universität, Kanada. Es werden einfach die Nutzer eines Medikaments – selbst wenn sie es nur einmal oder sehr kurz verordnet bekamen – mit denjenigen verglichen, die es niemals bekamen.
Besser, aber auch viel komplizierter ist es, die kumulative Exposition über die Zeit zu berücksichtigen. Doch das Basis-Krebsrisiko der Studienteilnehmer steigt natürlich mit deren zunehmendem Alter während der Beobachtung an.
Gute Patientenkontrolle, mehr Krebs aufgedeckt
Missinterpretationen schleichen sich zudem durch systematische Fehler ein, erläuterte Prof. Johnson. Beispiele sind der "detectionbias" – unter Insulintherapie steigt allein durch die engere Betreuung die Wahrscheinlichkeit, eine Krebserkrankung aufzudecken. Oder der "recallbias" – an die Verordnung eines Insulins erinnert sich der Patient im späteren Interview zuverlässiger als an ein orales Medikament.
Oder der "immortal time bias" – am besten am Beispiel der Analyse zu erläutern, die ergab, dass Oscar-Preisträger länger leben als andere Schauspieler. Der Unterschied kam dadurch zustande, weil man nicht berücksichtigt hatte, dass der Preisträger natürlich die Oscar-Vergabe erleben muss (also bis dahin quasi unsterblich ist), Nichtpreisträger aber auch jung sterben können. Wie lassen sich trotz derlei Interpretationseinschränkungen zuverlässige Rückschlüsse auf die Assoziation von Krebs und Insulin ziehen?
Einfluss von Diabetes auf Krebsrisiko: Langzeitstudie nötig
Prospektive randomisierte kontrollierte Studien wären eigentlich das Mittel der Wahl, betonte Professor Dr. Helen Colhoun, Dundee, Schottland. Doch müssten diese riesig sein – und bis Ergebnisse vorliegen, vergehen Jahre oder Jahrzehnte. Für Insulin glargin ist eine solche randomisierte kontrollierte Langzeitstudie mit ORIGIN* gemacht worden.
Über mehr als sechs Jahre erhielten 12 500 Teilnehmer entweder Insulin glargin oder eine Standardtherapie – in der Regel orale Antidiabetika. Krebserkrankungen waren nicht primärer Studienendpunkt, wurden aber so exakt wie möglich erfasst. Als "sehr beruhigend" bezeichnete Prof. Johnson, dass sich mit einer "Hazard Ratio" von 1,0 kein Hinweis auf ein erhöhtes Tumorrisiko unter der Insulintherapie zeigte.
Mammakarzinom: diverse Insuline getestet
In der Datenqualität zwischen epidemiologischen Registerauswertungen und prospektiven randomisierten kontrollierten Studien angesiedelt sind Fallkontrollstudien, in denen retrospektiv jeder Person mit der Erkrankung eine passende Kontrollperson gegenübergestellt wird. Eine solche Untersuchung hat z.B. den Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs aufgedeckt. #
Das Ergebnis der bislang grössten Fallkontrollstudie zum Zusammenhang zwischen Insulin und Brustkrebs präsentierte Professor Dr. Lucien Abenhaim, London, nun beim EASD-Kongress. Teilgenommen hatten 92 grosse Brustkrebs-Zentren aus Frankreich, Grossbritannien und Kanada. Das Resultat: Weder die Behandlung mit Insulin glargin noch mit einem anderen Insulin – analysiert wurden zusätzlich Lispro, Aspart und Humaninsulin – war mit einem erhöhten Risiko für ein Mammakarzinom assoziiert.
Diabetes per se steigert das Tumorrisiko
Die Hazard Ratio lag bei 1,04, wie Prof. Abenhaim berichtete. Prof. Colhoun lobte das Design der Studie, deren Grösse und die gute Charakterisierung der Patienten. Ein Zusammenhang mit der Dosis oder Dauer der Insulingabe habe sich nicht gezeigt – was die Krebsgefahr durch Insulin angeht, gebe es damit offenbar Entwarnung. Dies gilt jedoch nicht für das allgemein für Diabetiker erhöhte Krebsrisiko, bestätigen weitere beim EASD-Kongress vorgestellte Auswertungen, etwa des niederländischen Krebsregisters.
So erwies sich der Anteil von Diabetikern z.B. unter den Patienten mit kolorektalen Karzinomen mit 20 % als deutlich erhöht. Diabeteskranke Krebspatienten erhielten zudem weniger aggressive Therapien und hatten schlechtere Überlebenschancen, berichtete Professor Dr. Lonneke van de Poll-Franse, Eindhoven, in Berlin. Der Zusammenhang zwischen Krebs und Diabetes bleibt "komplex" und der Bedarf an weiterer Forschung gross, konstatierte Prof. Johnson in seinem Resümee.
*Outcome Reduction with Initial Glargine Intervention
Quelle: Europäischer Diabeteskongress