Medical Tribune
6. Nov. 2012Alzheimer-Erkrankung diagnostiziert

Schützt Ginkgo-biloba-Extrakt vor der Alzheimer-Demenz?

In GuidAge erhielten 2854 über 70-jährige Probanden mit selbst berichteten Gedächtnisproblemen randomisiert über fünf Jahre entweder 2 x 120 mg/d Ginkgo-Extrakt EGb 761® oder Placebo. Im Untersuchungszeitraum wurde bei 61 Teilnehmern der Verumgruppe eine wahrscheinliche Alzheimer-Erkrankung diagnostiziert und bei 73 Angehörigen der Placebogruppe, berichten die Autoren um Professor Dr. Bruno Vellas vom Hôpital Casselardit des Universitätsklinikums Toulouse in "The Lancet Neurology".1

Grüne Ginko Blätter
iStock/Martin Zaiser

Insgesamt kommen die Wissenschaftler zu dem Schluss: "Die Langzeitanwendung von standardisiertem Ginkgo-biloba-Extrakt reduzierte in dieser Studie im Vergleich zu Placebo nicht das Risiko einer Progression zur Alzheimer-Erkrankung."

Grosse Studie mit über 2800 Teilnehmern

Ein deutlicher Benefit zeigte sich allerdings in der vordefinierten Subgruppe von Probanden, die über vier Jahre das jeweilige Prüfpräparat genommen hatten. Von ihnen erlitten unter Ginkgo 15 eine Alzheimer-Erkrankung vs. 28 unter Placebo.

Das Unternehmen Dr. Willmar Schwabe, das den Spezialextrakt als Tebonin® anbietet, folgert daraus in einer Pressemitteilung: "Ein Schutz vor Alzheimer kann bei langfristiger regelmässiger Einnahme des Ginkgo-Spezialextraktes EGb 761® erwartet werden."

Dem pflichtet Professor Dr. Lon S. Schneider von der University of Southern California, Los Angeles, in seinem Studienkommentar in "The Lancet Neurology" so nicht bei.2 Nach seiner Ansicht ist "dieser späte Effekt von Ginkgo biloba insgesamt einem plötzlichen, unplausiblen Anstieg von Alzheimer-Fällen zuzuordnen, nicht aber einem protektiven Effekt von EGb 761®.

Wie sind diese Widersprüche zu erklären? Medical Tribune fragte den Gerontopsychiater Professor Dr. Ralf Ihl aus Krefeld.

Was wir aus GuidAge lernen können

MT: Die Autoren von GuidAge kommen zu dem Schluss, dass Ginkgo in dieser Studie Alzheimer nicht besser verhinderte als Placebo. Der Hersteller des Extraktes verweist dagegen auf ein fast halbiertes Alzheimer-Risiko, wenn das Phytopharmakon mindestens vier Jahre genommen wurde. Gibt es eine Erklärung für diese Divergenz?

Prof. Ihl: Man muss vorsichtig sein, man darf die Daten nicht überinterpretieren. Diese Gefahr besteht besonders bei Präventionsstudien, bei denen es viele methodische Probleme gibt. Wenn man eine Studie so anlegt, wie die 2002 begonnene Studie GuidAge, kann man eigentlich absehen, dass damit nichts zu gewinnen ist. Die Teilnehmer waren initial mindestens 70 Jahre alt und klagten bereits über Erinnerungsdefizite. Wird der Versuch, Alzheimer-Demenz zu verhindern, so spät angesetzt, ist die Wahrscheinlichkeit gross, zu scheitern.  

MT: 2008 wurden die Resultate der Ginkgo Evaluation Memory (GEM) Study publiziert. Danach liess sich kein demenzprotektiver Effekt nachweisen. Damals hiess es, wenn erst die GuidAge-Ergebnisse vorliegen, werden wir wissen, ob Ginkgo vor Alzheimer schützt. Gilt das nun nicht mehr?

Prof. Ihl: GuidAge ist genauso gültig wie GEM. Da gibt es überhaupt keine Frage. Beide Studien haben ihre Fehler und ihre Stärken. Die Frage ist nur, was kann man aufgrund dessen, was in den Studien gemacht wurde, wirklich aussagen? Und wie bereits gesagt, hier wird überinterpretiert. Wir wissen heute, dass die Untersuchungen mit den falschen Populationen gelaufen sind. Zudem stimmten die Prognosen der zu erwartenden Alzheimer-Fälle nicht. In allen Präventionsstudien sind viel weniger Menschen erkrankt als man anfangs erwartete. Wenn aber die angepeilte Konversionsrate nur etwa zu einem Drittel erreicht wird, können die gewonnenen Daten nicht mehr richtig sein.

MT: Die apodiktische Aussage, Ginkgo sei nicht Alzheimer-protektiv, wäre demnach unhaltbar. Aber ist der umgekehrte Schluss zulässig, der Extrakt bewahre vor der Erkrankung, wenn er über mindestens vier Jahre genommen werde?

Prof. Ihl: Nach meiner Auffassung kann man aus diesen Studien beides nicht schliessen. Dafür fehlt ganz einfach die Basis. Man kann aber Schlüsse für den Aufbau künftiger Studien ziehen. Nach dem, was wir aus EPIDOS und GuidAge wissen – bei gesicherter längerer Einnahme gab es dort Hinweise auf eine Risikosenkung –, sollte ganz sorgfältig überwacht und sichergestellt werden, dass die Teilnehmer auch wirklich ihr Medikament regelmässig einnehmen. Zudem muss man die Prognosen, wie viele Teilnehmer demenzkrank werden, nach unten korrigieren und entsprechend viele Versuchspersonen einplanen. Und es ist mit Sicherheit auszuschliessen, dass die Teilnehmer bereits initial unerkannt demenzkrank sind. Denn was soll ein protektives Pharmakon dann noch bewirken?

MT: Die Hoffnung auf GuidAge kann also zunächst begraben werden, aber es lässt sich daraus lernen … Prof. Ihl: Das kann man durchaus so stehen lassen. Aber wir sollten auch schauen, was in den Daten eventuell noch drinsteckt und ob man damit eventuell Hypothesen unterfüttern kann, die es lohnen, weiter verfolgt zu werden.

Referenz:

1 Bruno Vellas et al., The Lancet Neurology 2012; online first
2 Lon S. Schneider, a.a.O.