Medical Tribune
18. Juli 2023Coxitis und Epiphyseolyse entlarvt

Wenn die Hüfte bei Kindern schmerzt

Haben Kinder Schmerzen in Hüfte oder Knie, sollten diese unbedingt abgeklärt werden. Denn dahinter stecken zwar meist harmlose Gründe. Es kann sich aber auch um komplizierte Infektionen oder Formstörungen der Hüfte handeln. Einige davon sollten umgehend behandelt werden. Im Rahmen einer ersten Abklärung in der Kinderarztpraxis lassen sich bereits die meisten harmlosen Ursachen abklären.

Schmerzt bei Kindern die Hüfte, können harmlose, aber auch kritische Gründe dahinterstecken.
Mehmet Hilmi Barcin/gettyimages

Kommen Kinder mit Hüftschmerzen zu Prof. Dr. Thomas Dreher, Chefarzt der Kinderorthopädie und -traumatologie am Universitäts-Kinderspital Zürich, führt dieser als erstes eine gründliche Anamnese durch. Denn die Beschwerden können durch eine Vielzahl von Gründen bedingt sein.

Diese reichen dabei vom ineffizientem Aufwärmtraining im Sportverein bis hin zu entwicklungsbedingten Störungen der Hüftanatomie, erklärt der Experte (siehe Tabelle).

«Schmerzen im Knie, vergiss die Hüfte nie»

Hinweise auf den Hintergrund der Beschwerden kann dabei die genaue Beschreibung des Schmerzes liefern. Eine Rolle spielen dabei etwa die Art, Lokalisation, Intensität, und Dauer der Beschwerden, sowie, ob es einen Auslöser gegeben hat (z.B. Sport, Alltag, längeres Sitzen). Haben Schmerzen etwa einen drückenden, gleichbleibenden Charakter, kann das auf eine Entzündung hinweisen, ein Anlaufschmerz deutet hingegen eher auf eine mechanische Ursachen hin.

Prof. Dr. Thomas Dreher
zVg

«Schmerzen im Knie, vergiss die Hüfte nie» ist in der Abteilung von Prof. Dr. Thomas Dreher, Universitäts-Kinderspital Zürich, ein Stehsatz geworden.

«Vergessen darf man ausserdem nicht, dass bei vielen Kindern Hüftprobleme ihre Schmerzen in Richtung Knie projizieren», erinnert der Experte. Unterzieht man Kinder aufgrund von Problemen im Bereich des Knies einer Bildgebung, sollte man daher die Hüfte gleich miteinbeziehen.

Vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern kommen Hüftproblemen häufig von entzündlichen Prozessen. Bei jüngeren Kindern ist aber auch der Morbus Perthes eine wichtige Differentialdiagnose. Bei älteren Kindern sollte hingegen eher an eine Epiphysiolyse oder eine symptomatische Hüftdysplasie gedacht werden. Auch funktionelle Schmerzen wie Psoasschmerzen bei sportlicher Aktivität sind bei Jugendlichen häufiger als bei kleineren Kindern.

Coxitis fugax oder eitrige Coxitis?

Gab es bei einem Patienten in den ein bis drei Wochen vor den Beschwerden einen bakteriellen Infekt, liegt die Diagnose Coxitis fugax («Hüpftschnupfen») nahe. Dabei handelt es sich um eine synoviale Reizung/Entzündung, ohne dass Keime direkt das Gelenk besiedelt haben. Typischerweise tritt dabei ein Erguss im Hüftgelenk auf, der mitunter auch zu Bewegungseinschränkungen führt.

Handelt es sich dann um eine Coxitis fugax, ist diese ist mit nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) meist gut behandelbar. «Die Coxitis fugax ist aber eine Ausschlussdiagnose», erinnert Prof. Dreher. «In der Diagnostik der Erkrankung dürfen bestimmte Red Flags nicht übersehen werden.»

Denn ein Erguss muss nicht immer steril sein. Gesellen sich zu den Hüftbeschwerden auch noch Fieber, Mattigkeit und ein allgemeines Krankheitsgefühl, kann es sich auch um die gefährliche eitrige (septische) Coxitis handeln. Häufig von einer septischen Coxitis betroffen sind Kinder, die jünger als ein Jahr sind. Das liegt daran, dass bei ihnen die Epiphyse und die Metaphyse noch durchgängig durchblutet sind, erklärt Prof. Dreher. Aber auch ältere Kinder können eine eitrige Coxitis entwickeln.

Das Mittel der Wahl, um eine eitrige Coxitis auszuschliessen, sind die Kocher-Kriterien (siehe Kasten). Generell gilt aber: Ein auffälliges Labor (z.B. CRP > 2,0 mg/dL) und eine Belastungsintoleranz lassen eher auf eine septische Ursache einer Coxitis schliessen.

Zeigt sich kein oder nur ein Kocher-Kriterium erfüllt, wartet man im Normalfall zu und beginnt eine Therapie mit NSAR. Sobald aber zwei oder mehr Kocher-Kriterien erfüllt sind, sollte innerhalb der nächsten Stunden eine Punktion unter sterilen Bedingungen mit Möglichkeit der sofortigen Sanierung erfolgen. Zeigt diese eine bakterielle Besiedelung, sollte der Entzündungsherd sofort bereinigt werden – ansonsten droht die Gelenkschädigung. Nach der Spülung wird ein Antibiogramm angefertigt, und eine geeignete intravenöse Antibiose für fünf bis sieben Tage begonnen. Anschliessend nehmen die Kinder meist über drei bis sechs Wochen noch orale Antibiotika ein.

Kocher-Kriterien: Liegt eine septische Coxitis vor?

4 Kriterien:

  • Functio laesa (Belastungsintoleranz)
  • Fieber
  • Erhöhte BSG (>40 mm/h)
  • Erhöhte Leukozytenzahl (>12.000 G/L)

Die Wahrscheinlichkeit einer septischen Coxitis steigt mit der Anzahl der erfüllten Kocher-Kriterien:  

  • 0 Kocher Kriterien erfüllt: <0,2%
  • 1 Kocher Kriterium erfüllt: 3%
  • 2 Kocher Kriterien erfüllt. 40%
  • 3 Kocher Kriterien erfüllt: 93%
  • 4 Kocher Kriterien erfüllt: 99,6%
  • Zusatzkriterium CRP (z.B. 2 Kocher-Kriterien plus CRP > 2,0 mg/dL + Belastungsintoleranz => 74%)

Abgekippter Hüftkopf: Epiphyseolysis capitis femoris

Bei der Epiphyseolysis capitis femoris (ECF) handelt es sich um eine nicht-traumatische Epiphysenlösung. Bei dieser kommt es zur schmerzhaften Dislokation des Schenkelhalses gegenüber dem Femurkopfes. Die am meisten betroffene Altersgruppe sind dabei ältere Kinder und Jugendliche. Vorkommen tut sie bei sportlich aktiven Kindern, sowie auch bei Kindern mit Übergewicht. Liegen ihr in selteneren Fällen Hormonstörungen zugrunde, können mitunter auch jüngere Kinder betroffen sein.

Klinisch lässt sich bei Vorliegen einer Epiphyseolyse das Drehmann-Zeichen beobachten. Dabei weicht das Bein automatisch in der Flexionsbewegung in die Abduktions- bzw. Aussenrotationsbewegung ab. Auf dem Röntgen sieht man dann eine veränderte Position des Hüftkopfes in Relation zum Schenkelhals. «Wichtig ist, immer beide Seiten zu röntgen, um das Abkippen in einem nur geringen Winkel nicht zu übersehen», so Prof. Dreher.

Eine Epiphyseolysis capitis femoris ist immer ein orthopädischer Notfall, da die Blutversorgung der Epiphyse in Gefahr ist. Die ECF muss daher frühzeitig diagnostiziert und zeitnah operiert werden. Bei geringem Abrutsch wird in-situ verschraubt und sekundär die Deformität mittels Arthroskopie angegangen. Bei stärkerem Abrutschen erfolgt eine modifizierte Dunn-OP, im Zuge derer wird der Schenkelhals verkürzt, um Entspannung auf die Gefässe zu bringen, und im Anschluss mittels Drähten und Schrauben wieder auf der Metaphyse fixiert.

Gleichzeitig wird meist auch der Hüftkopf auf Gegenseite stabilisiert, erklärt der Experte. «Denn bei der Erstdiagnose weisen bereits 20 Prozent der Betroffenen die Epiphyseolyse auch auf der Gegenseite auf. Bei weiteren rund 50 Prozent rutscht der andere Hüftkopf innerhalb der ersten zwei Jahre ab.»

Ursachen für den Hüftschmerz im und ausserhalb des Gelenks

Extra-artikuläre Ursachen:

  • Sehnenansatz/-ursprungstendinosen Apophysitis
  • Bursitis (Trochanter, Iliopsoas etc.)
  • ISG Beschwerden und Symphytis pubica
  • Stressfrakturen am Becken oder proximalen Femur
  • Muskuläre Dysbalance
  • Hernien
  • Tumoren
  • Infektionen

Artikuläre Ursachen:

  • Entzündliche Arthritis (Coxitis fugax, rheumatische Arthritis)
  • Septische Hüfte
  • Morbus Perthes
  • Femurkopfnekrose
  • Impingement
  • Labrumläsion
  • Dysplasie
  • Stressfraktur am Schenkelhals
  • Tumoren, Osteolysen
  • Gelenkmäuse
  • Degenerative Arthritis