Medical Tribune
7. Juli 2023Weiterentwickelte passive Immmunisierung und Impfung von Schwangeren vor der Zulassung

Kinder vor RSV-Infektionen schützen

Mit der Aufhebung der Covid-19-Massnahmen sind durch Influenza- oder Respiratory Syncytial (RS)-Viren verursachte respiratorische Infektionen zurückgekehrt. Um Säuglinge vor RSV-Infektionen zu schützen, stehen nun mehrere Optionen in der Pipeline.

Mikroskopische Aufnahme eines Respiratory Syncitial Virus (RSV)
Science Photo Library/PUBLIC HEALTH ENGLAND/CENTRE FOR INFECTIONS

Eine Atemwegsinfektion mit dem Respiratory Syncitial Virus (RSV) gefährdet vor allem Hochrisikokinder.

Die Covid-19-Schutzmassnahmen während der Pandemie schützten auch effektiv vor Infektionen mit typischen saisonalen Grippe- und Erkältungsviren. So gab es während der Pandemie kaum Influenzafälle und Grippe-ähnliche Erkrankungen. Mit den Lockerungen der Massnahmen kam es plötzlich wieder zu einer Zunahme. «Und dies heftiger denn je», erklärt Professor Dr. ­Ulrich Heininger,­ Leiter der pädi­atrischen Infektiologie im Universitäts-Kinderspital beider Basel.

Im Pandemiewinter 2020/21 beispielsweise gab es kaum Hospitalisationen von Säuglingen wegen RSV-Infektionen. Mit den Lockerungen der Massnahmen stiegen die Fallzahlen plötzlich rapide bis in den Sommer hinein an. Im Oktober 2022 kam es dann noch zu einer zweiten RSV-Welle. Diese brachte die Schweizer Kinderspitäler an den Rand ihrer Kapazitäten. Zwischenzeitlich hat sich die Situation entspannt. «Aber es ist völlig offen, wie sich die Situation im Herbst und Winter 2023 entwickeln wird», so der Infektiologe.

Passive Immunisierung mit monoklonalen Antikörpern

Völlig ausgeliefert ist man der Situation aber nicht. Seit Jahren steht mit Palivizumab eine passive Immunisierung gegen RSV-Infektionen zur Verfügung. «Der monoklonale Antikörper blockiert das Glykoprotein-F, welches das RS-Virus auf seiner Oberfläche exprimiert, und verhindert so, dass das Virus in die Atemwegsepithelzellen eindringen und sie infizieren kann», erläuterte Prof. Heininger.

Aufgrund der Halbwertszeit ist es notwendig, den monoklonalen Anti­körper während der RSV-Saison einmal pro Monat zu verabreichen. «Verdoppeln sich regional die RSV-Fallzahlen, sollte mit der Palivizumab-Behandlung begonnen werden», empfahl der Experte. Die Immunisierung ist nicht für alle Säuglinge vorgesehen, sondern laut dem Konsens der pädiatrischen Pneumologen und Infektiologen in der Schweiz nur für Hochrisikokinder im ersten Lebensjahr (2). An den Empfehlungen orientieren sich auch die Kostenerstatter.

In Zukunft wird es laut Prof. Heininger voraussichtlich neue Möglichkeiten geben, Neugeborene vor RSV-Infektionen zu schützen. So gibt es zwischenzeitlich eine Weiterentwicklung des monoklonalen Antikörpers: Nirsevimab hat eine deutlich längere Halbwertszeit als Palivizumab und muss nur einmal pro Saison angewendet werden. Swissmedic prüft derzeit das Zulassungsgesuch.

Eine klinischen Studie zeigte, dass die passive Immunisierung mit Nirsevimab bei frühgeborenen Säuglingen zu deutlich weniger RSV-Infektionen führte als bei denjenigen, die nur Placebo bekommen hatten. In der Nirsevimab-Gruppe gab es auch deutlich weniger Hospitalisierungen wegen einer schweren durch RSV verursachten unteren Atemwegsinfektion als in der Kontrollgruppe (3).

Swissmedic prüft Schwangeren-Impfung

In der Pipeline ist zudem die aktive Immunisierung für Schwangere. «Mit der RSV-Impfung für werdende Mütter sollen primär die Neugeborenen geschützt werden», erklärt Prof. Heininger.
Beim Impfstoff handelt es sich um ein Präfusions-Vakzin.

Verschmilzt das RS-Virus mit der Wirtszelle, verändert sich normalerweise die dreidimensionale Struktur des Glykoproteins-F auf der Oberfläche des Virus. Die dann neu exprimierten RS-Viren erkennt das Immunsystem nicht mehr. «Das Präfusions-Vakzin kann die primäre Form des Rezeptors stabilisieren, sodass dieser erkennbar bleibt. Dadurch lässt sich das Eindringen des Virus in die Zelle verhindern», erläutert der Experte.

In einer placebokontrollierten Studie war das Risiko für eine RSV-assoziierte untere Atemwegsinfektion bei Säuglingen von Müttern, die im zweiten Trimenon die Impfung erhalten hatten, etwa 50 Prozent geringer als mit Placebo. 70 bis 80 Prozent der Kinder von geimpften Müttern waren zudem zuverlässig vor einem schweren Verlauf geschützt (4).

Für den Impfstoff läuft aktuell das Zulassungsverfahren. «Möglicherweise haben wir nächstes Jahr eine neue Impfempfehlung für Schwangere zum Schutz von Neugeborenen», so Prof. Heininger.