Medical Tribune
22. Juli 2023Für Kinder zugelassene Arzneimittel – Wunsch und Wirklichkeit

Off-Label-Use von Medikamenten in der Pädiatrie

Nicht alle Wirkstoffe werden in Studien mit Kindern untersucht. Für sie fehlt damit die wissenschaftliche Evidenz zur Anwendung bei pädiatrischen Patienten. Ein Experte fasst die wichtigsten Punkte zum Off-Label-Use in der Pädiatrie zusammen.

Informed Consent form, pen and stethoscope on doctor desk
Wirestock/gettyimages

Kinder dürfen nicht wie kleine Erwachsene therapiert werden, betont Dr. Ermindo Di Paolo, Universität Lausanne (1). Das hat nicht nur anatomische und physiologische (pharmakologische wie auch pharmakokinetische) Gründe, sondern ist oftmals auch psychologisch bedingt. Die kleinen Patienten können weder Tabletten schlucken, noch wird man sie dazu bringen, unangenehm riechende/schmeckende Säfte einzunehmen.

Da viele hochwirksame Medikamente nicht in Studien mit Kindern untersucht wurden, fehlt zudem häufig die entsprechende wissenschaftliche Evidenz. «Im praktischen Alltag verfügen wir über zu wenig Medikamente, die für Kinder zugelassen sind», so der Experte. Viele Präparate in der Pädiatrie werden daher Off-Label angewendet.

«Off-Label-Use ist kein Off-Knowledge-Use»

Bei dieser Verwendung von Medikamenten abseits der Zulassung gibt es oftmals einige Begriffsverwirrung. Die Unterteilung zwischen Off-Label-Use, Unlicensed Use und Compassionate Use gestalten sich dabei folgendermassen:

  • Off-Label-Use: Darunter versteht man die Anwendung von Arzneimitteln für andere Indikationen, Altersgruppen oder Bezeichnungen als in der Fachinformation angegeben.
  • Unlicensed Use: Eine Behandlung mit Medikamenten, die keine Zulassung haben, ist nicht gestattet – mit Ausnahme der Fälle, die im Heilmittelgesetz erwähnt sind (1).
  • Compassionate Use: Betrifft Patienten, die mit einem Produkt ausserhalb von Studien behandelt werden sollen, das bisher in der Schweiz in klinischen Studien erfolgreich geprüft, aber noch nicht zugelassen wurde.

In einem Statement aus dem Jahr 2020 hat die European Academy of Paediatrics/ European Society for Developmental Perinatal and Pediatric Pharmacology (EAP/ESDPPP) ausserdem genau definiert, in welchem Fall eine Off-Label-Anwendung Gültigkeit besitzt:

  • Off-Label-Use bedeutet nicht Off-Knowledge-Use.
  • Die Verschreiber verfügen über die erforderliche Kompetenz zur Verordnung von Off-Label-Medikamenten bei Kindern.
  • Die Off-Label-Verordnung von Arzneimitteln ist geeignet, um die individuellen Bedürfnisse des Patienten im Rahmen der verfügbaren Ressourcen zu erfüllen. Sie muss rational und klinisch angemessen erfolgen.
  • Der Patient und seine Eltern/Betreuungspersonen sollten informiert und einbezogen und die Patienten hinsichtlich Wirksamkeit und Nebenwirkungen überwacht werden.
  • Der Verschreiber sollte in Erwägung ziehen, ob die Off-Label-Verordnung im Rahmen einer klinischen Studie erfolgen kann.

Zulassungsinhaber in der Pflicht

Dr. Di Paolo betont, dass es wünschenswert wäre, dass mehr Medikamente für pädiatrische Patienten zugelassen werden. Die Zulassungsinhaber sollten sich verpflichtet fühlen, Angaben zur Wirksamkeit und Dosierung bei Kindern verfügbar zu machen.

Auch Swissmedic konstatierte 2023, dass es unverändert zu wenig für Kinder entwickelte und an sie angepasste Arzneimittel gibt, weshalb im pädiatrischen Setting sehr häufig Medikamente eingesetzt werden, welche nur für Erwachsene (Off-Label-Use) oder (noch) gar nicht zugelassen sind (Unlicensed Use).

Online-Informationen zum Off-Label-Use

Dr. Di Paolo verwies auf nützliche Literatur und Links im Zusammenhang mit der Off-Label-Verordnung von Medikamenten, so z.B. auf BRAvO (Benefit and Risk Assessment for off-label use), das die Entscheidungsfindung bei geplanter Off-Label-Verschreibung unterstützen kann. Dort finden sich zahlreiche Algorithmen zum Vorgehen in der Praxis. Als weitere Quellen zitierte der Experte:

van der Zanden TM et al. Clin Pharmacol Ther. 2021; 10(4): 952–965.