Medical Tribune
24. Juli 2012Was gilt in der Pubertät als „normales“ Wachstum?

Zu gross, zu klein oder doch völlig normal im Wachstum?

Weil es Früh- und Spätentwickler gibt und der Zeitpunkt des Wachstumsschubs zudem bei Mädchen und Jungen unterschiedlich ist, fällt es oft schwer zu beurteilen, welche Körpergrösse in welchem Alter noch normal und welche ein Hinweis auf eine pathologische Entwicklung ist.

Für die Bewertung gilt es zunächst die Zielgrösse zu berechnen, erläuterte Professor Dr. Markus Bettendorf von der Klinik für Allgemeine Pädiatrie, Stoffwechsel, Gastroenterologie, Nephrologie der Universität Heidelberg. Im Schnitt unterscheiden sich Männer und Frauen um 13 cm.

Die Zielgrösse errechnet sich, indem man die Körpergrösse beider Eltern addiert, und bei Mädchen 13 cm subtrahiert, während bei Jungs 13 cm addiert werden. Das Ergebnis wird schliesslich durch zwei geteilt – die Standardabweichung beträgt ± 10 cm.

Bei Jungs kommt der Stimmbruch erst nach dem Wachstumsschub

Bedeutsam für die Beurteilung ist zudem die Chronologie der Entwicklung; sie bleibt immer erhalten, erklärte der Experte. Bei Mädchen folgt auf Thelarche und Pubarche der Wachstumsschub, dann die Menarche und die reife Brust. Bei Jungs beginnt die Pubertät mit dem Hoden- und dem Peniswachstum, es folgen Pubarche und – erst später als bei den Mädchen – der Wachstumsschub und schliesslich der Stimmbruch. Kommt die Chronologie durcheinander, gilt dies immer als Hinweis auf eine Pathologie, so Prof. Bettendorf.

Wachstumsgeschwindigkeit mit mindestens zwei Messungen ermitteln

Es bedarf mindestens zweier Messungen, um die Wachstumsgeschwindigkeit abzuschätzen. Liegt sie unterhalb der 25. Perzentile, weist dies auf eine Wachstumsstörung hin.

Zur Standarddiagnostik gehören: Anamnese, Auxologie, internistische Untersuchung, Röntgen der linken Hand (Knochenalter und Dysmorphie) sowie die Ultraschall-Untersuchung der inneren Genitale (Uterus und Ovarien), ferner Labordiagnostik mit Bestimmung von Schilddrüsen- und Geschlechtshormonen sowie Wachstumsfaktoren.

Bei einer von Prof. Bettendorfs jungen Patientinnen war z.B. eine unentdeckte Hypothyreose Ursache der Pubertas tarda und des Kleinwuchses. Das Mädchen entwickelte sich nach dem Start einer Thyroxintherapie normal, berichtete der Endokrinologe. Wichtig sei auch die Chromosomenanalyse, etwa um ein bislang unerkanntes Ullrich-Turner-Syndrom aufzudecken.

Liegt hingegen nur eine konstitutionelle Verzögerung von Wachstum und Pubertät vor, spricht man von sogenannten "Spätentwicklern". Der Leidensdruck kann so gross sein, dass bei Mädchen zur Pubertätsinduktion eine passagere orale Therapie mit niedrig dosiertem Östradiolvalerat (0,3 mg/Tag), bei Jungen mit Testosteronenanthat 100 oder 50 mg i. m. alle vier Wochen zu erwägen ist, so der Experte. Doch sollten Mädels maximal drei Monate, Jungen höchstens sechs Monate lang behandelt werden. Sonst droht ein zu früher Verschluss der Wachstumsfugen mit erniedrigter Endgrösse.

Längenwachstum mit Hormonen bremsen?

Um das Längenwachstum bei konstitutionellem oder familiärem Hochwuchs zu begrenzen, kann die durchgängige, höher dosierte Behandlung mit Sexualhormonen als "Bremstherapie" genutzt werden. Fünf bis sieben Zentimeter der errechneten Endgrösse lassen sich auf diese Weise bei rechtzeitigem Beginn einsparen, so die Erfahrung des Experten. Zu beachten sei aber, dass dieser Behandlung die offizielle Zulassung fehle.

Quelle: 55. Symposium der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie