Medical Tribune
23. Sept. 2024Erkenntnisse aus der ABYSS-Studie beim ESC 2024

Absetzen von Betablockern nach Myokardinfarkt möglicherweise nicht sicher

Müssen Patienten nach einem Herzinfarkt dauerhaft Betablocker einnehmen, oder kann man diese irgendwann absetzen? Diese Frage untersuchte die ABYSS-Studie, die auf dem ESC 2024 vorgestellt wurde.

Die ABYSS-Studie konnte die Nichtunterlegenheit des Absetzens von Betablockern nach einem Herzinfarkt nicht zeigen.
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Die französische ABYSS-Studie (1) rekrutierte 3.700 Patienten nach einem Myokardinfarkt, die Betablocker einnahmen. Die Hälfte setzte die Therapie im Rahmen der Studie ab.

Während der dreijährigen Nachbeobachtung erlitten Patienten, die die Betablocker absetzten, mehr kardiovaskuläre Ereignisse. Zudem verbesserte sich ihre Lebensqualität nicht.

Ist die langfristige Betablockertherapie noch zeitgemäss?

Betablocker sind seit Jahrzehnten Standard bei Patienten nach einem Myokardinfarkt. Doch moderne Reperfusionsstrategien und eine bessere Versorgung stellen die Notwendigkeit einer langfristigen Betablockertherapie aktuell immer wieder infrage.

Die ABYSS-Studie, eine multizentrische, nicht verblindete, randomisierte Studie, wurde in 49 französischen Zentren durchgeführt. Sie prüfte die Nichtunterlegenheit bei der Sicherheit eines Abbruch der Betablocker-Behandlung bei stabilen Patienten nach einem Herzinfarkt.

Untersucht wurde ein zusammengesetzter kardiovaskulärer Endpunkt aus Tod, Myokardinfarkt, Schlaganfall oder Hospitalisierung wegen kardiovaskulärer Ereignisse. Ausserdem bewerteten Forscher die Lebensqualität, gemessen mit dem European Quality of Life–5 Dimensions (EQ-5D-5L)-Fragebogen.

Fast 3.700 Patienten mit chronischer Betablocker-Therapie rekrutiert

Insgesamt wurden 3.698 Patienten (median 63 Jahre, 82,9 % Männer) eingeschlossen. Diese hatten mindestens sechs Monate (im Mittel drei Jahre) zuvor einen Myokardinfarkt erlitten. Seither waren sie stabil, und wurden mit Betablockern behandelt.

Die meisten Patienten hatten einen ST-Strecken-Elevationsinfarkt (STEMI) erlitten (63 %), 95 Prozent waren revaskularisiert. Patienten, die Betablocker aus anderen Gründen benötigten, sowie Patienten mit reduzierter Ejektionsfraktion waren ausgeschlossen.

Die Teilnehmer wurden in zwei Gruppen aufgeteilt. Eine Gruppe setzte die Betablocker fort, die andere setzte sie ab.

Die Nachbeobachtung dauerte mindestens ein Jahr, einige Patienten wurden bis zu fünf Jahre nachbeobachtet.

Mehr Ereignisse nach Absetzen der Betablocker

Nach einer dreijährigen Nachbeobachtung führte das Absetzen der Betablocker bei stabilen Patienten nach einem Myokardinfarkt zu mehr kardiovaskulären Ereignissen.

In der Absetzgruppe lag die Ereignisrate für den primären Endpunkt bei 23,8 Prozent, verglichen mit 21,1 Prozent in der Fortsetzungsgruppe (HR 1,16; 95%-KI: 1,01-1,33). Die Nichtunterlegenheit wurde mit einem p-Wert von 0,44 nicht erreicht.

«Die Ereigniszahl war höher als erwartet» sagt Erstautor Professor Dr. Johanne Silvain von der Pierre-und-Marie-Curie-Universität Paris, der die Studie am ESC präsentierte. Das Forscherteam hatte ursprünglich mit rund 12 Prozent in der konservativ behandelten Gruppe gerechnet.

Den grössten Anteil an der erhöhten Ereignisrate machten Hospitalisierungen wegen Herz-Kreislauf-Problemen aus. Diese waren nach Abbruch der Betablocker deutlich erhöht (18,9 vs. 16,6 %).

Wichtige Untergruppenanalysen zeigten ausserdem, dass das Absetzen der Betablocker besonders für Patienten mit Bluthochdruck (etwa 43 % der Gesamtpopulation) riskant war. Bei ihnen betrug die absolute Risikosteigerung für den primären Endpunkt fünf Prozent, während in der nicht-hypertensiven Gruppe keine signifikanten Unterschiede festgestellt wurden.

Lebensqualität durch Absetzen der Betablocker nicht erhöht

Neben der erhöhten Ereignisrate und des Blutdruckanstiegs zeigte die ABYSS-Studie keine signifikante Verbesserung der Lebensqualität durch das Absetzen der Betablocker.

Ein weiteres zentrales Ergebnis der ABYSS-Studie war ein Anstieg des systolischen und diastolischen Blutdrucks sowie der Herzfrequenz ab dem sechsten Monat nach dem Absetzen der Betablocker. Die Herzfrequenz stieg in den ersten sechs Monaten fast um 10 bpm.

Das spiegelte sich auch darin wider, dass die behandelnden Ärzte bei Patienten ohne Betablocker-Behandlung die Medikation häufiger anpassten.

Fazit und klinische Implikation

«Der Versuch, die Nichtunterlegenheit der Sicherheit des Absetzens von Betablockern zu beweisen, ist uns nicht geglückt», resümiert Prof. Silvain.

«Der Abbruch einer Betablocker-Therapie bei stabilen Patienten nach Myokardinfarkt sollte sorgfältig überlegt sein, da er nicht ohne Risiken ist.» Besonders die kardiovaskulären Hospitalisationen seien in der Studie aufgefallen – vor allem bei Patienten mit Hypertonie.

Auch die erhöhten Blutdruckwerte im Langzeitverlauf geben Anlass zur Sorge. Sie könnten langfristig ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko bedeuten.

Die Ergebnisse wurden parallel im New England Journal of Medicine veröffentlicht (2).