Medical Tribune
11. Sept. 2024Paradigmenwechsel in der Bluthochdrucktherapie und personalisierte Ansätze

Neue ESC-Leitlinie zur Hypertonie

Am Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC) wurde eine neue Leitlinie für die Hypertonie vorgestellt, die das Potenzial hat, die klinische Praxis zu verändern. Kernpunkt sind klarere Zielwerte und ein massgeschneidertes Management für verschiedene Patientengruppen.

Am Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC) wurde unter anderem eine neue Leitlinie für die Hypertonie vorgestellt.
Petra Genetzky
Im Kongresszentrum in den Londoner Docklands trafen sich Kardiologen aus aller Welt.

Seit 30 Jahren fassen die ESC-Leitlinien die relevante Evidenz zu einem bestimmten Thema zusammen, um Ärztinnen und Ärzten Nutzen und Risiken von diagnostischen und therapeutischen Massnahmen aufzuzeigen. In diesem Jahr gab es unter anderem eine neue ESC-Leitline zur Hypertonie (1).

Neue Definition: Von «erhöhtem Blutdruck» bis zur Hypertonie

Die erste Änderung betrifft schon den Titel: Statt von arterieller Hypertonie spricht man nun von erhöhtem Blutdruck und Hypertonie, um deutlich zu machen, dass das mit einer Hypertonie in Zusammenhang stehende kardiovaskuläre Risiko ein Kontinuum und nicht binär zwischen Normotonie und Hypertonie angesiedelt ist, erklärt der Leiter der Guideline-Taskforce Professor Dr. John William McEvoy, University of Galway School of Medicine and National Institute for Prevention and Cardiovascular Health, Galway, Irland.

Neu ist die Einteilung in drei Kategorien anhand des in der Praxis gemessenen Blutdrucks:

  • nicht erhöhter Blutdruck
    < 120/70 mmHg
  • erhöhter Blutdruck
    < 120–139 / 70–89 mmHg
  • Hypertonie
    ≥ 140/90 mmHg

Akutelle Daten weisen darauf hin, dass unter einer antihypertensiven Therapie nur ein systolischer Blutdruck von < 120 mmHg das kardiovaskuläre Risiko optimal reduziert, sagt Professor Dr. Rhian M. Touyz, McGill University, Montreal, ebenfalls Vorsitzende der Taskforce.

Paradigmenwechsel: Niedrigere Blutdruckziele im Fokus

Empfahlen die vorangegangenen Leitlinien noch einen Blutdruck von < 140/90 mmHg als erstes Behandlungsziel und im zweiten Schritt einen Zielwert von < 130/80 mmHg, findet nun ein Paradigmenwechsel statt. Patienten sollten bereits im ersten Schritt einen Blutdruck von 120–129 mmHg erreichen.

Bei Patienten mit einem erhöhten Blutdruck sind zunächst Lebensstilmassnahmen über einen Zeitraum von drei Monaten empfohlen, bei solchen mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko ≥10 % über zehn Jahre und einem Blutdruck ≥ 130/80 mmHg sollte eine medikamentöse Blutdrucksenkung erfolgen. Ab einem Blutdruck von ≥ 140/90 mmHg ist unabhängig vom kardiovaskulären Risiko eine sofortige antihypertensive Behandlung erforderlich.

Massgeschneiderte Therapie für ältere und gebrechliche Patienten

Aufgrund der alternden Bevölkerung betont die Leitlinie aber auch die Notwendigkeit eines massgeschneiderten Managements für sehr alte und gebrechliche Personen. Zusätzlich beinhalten die Empfehlungen auch einen Abschnitt zu «Sex und Gender».

Den Abschnitt «Lebensstilmassnahmen» hat die Taskforce ebenfalls ergänzt. Zu der Empfehlung von mindestens 150 Minuten aeroben Trainings pro Woche sollte nun ein isometrisches Widerstandstraining dazukommen.

Die Aufnahme von Kochsalz sollte auf 2 g/Tag reduziert werden, Alkoholkonsum ist am besten ganz zu stoppen oder auf einen Wert von < 100 g/Woche zu senken.

Patienten mit Hypertonie ohne moderate oder schwere chronische Nierenerkrankung (CKD) mit einem hohen Salzkonsum wird geraten, die Kalium-Zufuhr um 0,5–1 g/Tag zu erhöhen und z.B. mit Kalium angereichertes Salz zu verwenden.