Medical Tribune
12. Sept. 2023Die speziellen Probleme mancher Medikamentengruppen

Kollateralschäden durch Prävention

Betablocker, SGLT2-Hemmer und Statine schützen unbestritten vor primären oder sekundären kardiovaskulären Ereignissen. Doch das gelingt nicht ganz ohne Nebenwirkungen. Drei Experten haben die einzelnen Wirkstoffe unter die Lupe genommen.

Die Anwendung von Betablockern, SGLT2-Hemmern und Statinen kann mit Nebenwirkungen verbunden sein.
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Machen Betablocker impotent?

Fakt oder Mythos, fragte PD Dr. Bernhard Haring, Klinik für Innere Medizin III am Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg, etwa in Bezug auf das Thema erektile Dysfunktion durch Betablocker (1).

Generell muss man diese Nebenwirkung eher bei nichtselektiven Betablockern fürchten. In einer Studie fand sich z.B. kein Einfluss des selektiven Beta-1-Blockers Acebutolol auf die erektile Funktion. Aber auch unter den selektiven gibt es Unterschiede: Nebivolol schneidet besser ab als Metoprolol oder Atenolol, weil es Stickstoffmonoxid freisetzt, was zur Erweiterung der penilen Arterien führt.

Die Psyche scheint ebenfalls darüber zu entscheiden, ob eine erektile Dysfunktion auftritt. Das zeigte eine Studie mit 96 kardiovaskulär vorerkrankten Patienten. Alle bekamen zunächst Atenolol über drei Monate, aber nur eine von drei Gruppen wusste um die potenziellen Nebenwirkungen der Substanz. Eine Weitere erfuhr nur den Wirkstoff, die Dritte nicht einmal das.

Ein signifikant höherer Anteil der Männer mit vollem Wissen berichtete im Verlauf von einer erektilen Dysfunktion. Auch unter denjenigen, die nur den Wirkstoff kannten, klagten signifikant mehr darüber als die gänzlich Unwissenden. Anschlies­send erfolgte eine weitere Randomisierung bei den Betroffenen. Die Hälfte erhielt Sildenafil, die andere Placebo. Beides wirkte gleich gut auf die Potenz.

Letztlich ist die Evidenz im Hinblick auf Betablocker – und andere Antihypertensiva – und die erektile Dysfunktion limitiert, betonte PD Dr. Haring. Vermutlich bestehe kein oder nur ein schwacher Zusammenhang.

Wie sich eine Ketoazidose durch SGLT2-Inhibitoren bemerkbar macht

SGLT2-Hemmer haben ihren festen Platz in der Therapie der Herzinsuffizienz. Zu ihren häufigsten Nebenwirkungen gehören genitale Infekte. Typischerweise sind sie aber mild bis moderat ausgeprägt und leicht zu behandeln, berichtete PD Dr. Katharina­ Schütt, Medizinische Klinik I, Uniklinik RWTH Aachen. Anfänglich kann es ausserdem zu einer Verschlechterung der Nierenfunktion kommen. «Die sollte uns nicht beunruhigen, im weiteren Verlauf überwiegt der renoprotektive Effekt der Substanzen», betonte die Expertin.

Eine Blutglukosesenkung bei Personen ohne Diabetes muss man nicht befürchten, wie sich in Studien zu Dapagliflozin und Empagliflozin herausstellte. Hypotonie und Hypovolämie sind Effekte, die SGLT2-Hemmer mit anderen Herzinsuffizienztherapeutika teilen, wobei der Blutdruckabfall mit 4–5 mmHg sehr gering ausfällt und nur initial normotone Patienten betrifft. Ein Plus: Trotz ihrer diuretischen Eigenschaften bewirken die Substanzen keine Elektrolytverschiebungen.

Selten und beinahe ausschliesslich bei Diabetes-Patienten kann unter der Therapie eine Ketoazidose auftreten. Dr. Schütt erinnerte daran, dass die Blutzuckerspiegel unter SGLT2-Hemmer-Therapie deutlich niedriger sein können als man es bei einer Ketoazidose erwarten würde. Die Patienten sollten über die (unspezifischen) Symptome aufgeklärt werden und die Anweisung erhalten, sich bei deren Auftreten unverzüglich in ärztliche Behandlung zu begeben.

Die Europäische Arzneimittel-Agentur nennt als mögliche Anzeichen u.a.:

  • Übelkeit
  • Erbrechen
  • rascher Gewichtsverlust
  • Bauchschmerzen
  • starker Durst
  • Probleme beim Atmen
  • Verwirrtheit
  • Schläfrigkeit oder ausgeprägte Müdigkeit

Wie oft vertragen Patient Statine nicht?

Die Zahlen zur Prävalenz der Statinintoleranz reichen in Patientenregis­tern von zehn bis 29 Prozent. In randomisierten kontrollierten Studien wird sie mit weniger als zehn Prozent angegeben. Unter den Symp­tomen dominieren muskuläre Beschwerden. Allerdings lagen in einer Metaanalyse die Raten unter Statinen genauso hoch wie unter Placebo (14–15 % nach einjähriger Einnahme), erläuterte Dr. Paulina­ Stürzebecher­ von der Klinik und Poliklinik für Kardiologie am Universitätsklinikum Leipzig.

Es gibt keine klare Definition der Statinintoleranz und keinen Goldstandard für die Dia­gnostik. Als Risikofaktoren liessen sich unter anderem weibliches Geschlecht, Diabetes, Übergewicht, Hypothyreoidismus und chronische Erkrankungen von Leber oder Niere ermitteln. Fest steht, dass eine Intoleranz bei sekundärpräventivem Statineinsatz das Risiko für einen Reinfarkt erhöht. Und das Absetzen der Medikamente im primärpräventiven Setting steigert das Risiko für atherosklerotische kardiovaskuläre Erkrankungen bei über 75-Jährigen um ein Drittel.

Mögliche Auswege, um die Statinintoleranz zu überwinden, sind langsames Aufdosieren, Wechsel auf ein anderes Präpärat oder die Kombination mit anderen Lipidsenkern. Die Einführung von PCSK9-Hemmern und Bempedoinsäure hat bei diesen das Spektrum erweitert. Fragen zu Pro­g­nose, Behandlungsstrategien und Lebensqualität werden aktuell im prospektiven Statin-Intoleranz-Register untersucht, dem 19 deutsche Zentren Daten liefern.

Sick-Day-Rules

Im Fall einer akuten Krankheit empfehlen Experten Patienten mit Diabetes, die Sick-Day-Rules einzuhalten. Neben bestimmten Regeln für die Ernährung gehört dazu auch, im Falle eines Volumenmangels oder einer akuten Verschlechterung der Nierenfunktion folgende Medikamentenklassen kurzfristig abzusetzen (SADMANS):

  • Sulfonylharnstoffe
  • ACE-Hemmer
  • Diuretika
  • Metformin
  • Angiotensinrezeptorblocker
  • NSAR
  • SGLT2-Hemmer

Bei letzteren ist bei krankheitsbedingt fehlender Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme wegen der Gefahr der Ketoazidose eine Pause von mindestens 48 Stunden nötig. Grundsätzlich sollten alle Präparate erst erneut eingesetzt werden, wenn die Patienten mindestens einen Tag lang wieder normal essen und trinken. Zudem ist die Dosis von Insulin oder anderen Antidiabetika gegebenenfalls anzupassen.