Wie psychische Belastungen das Herz schädigen und die KHK triggern
Wiederholte Misshandlungen führen bei Kindern zu komplexen Traumata, die durch die interpersonelle Dimension eine hohe pathogene Potenz entfalten, erklärte Professor Dr. Carsten Spitzer von der Asklepios Klinik Tiefenbrunn. Anhaltende seelische und körperliche Vernachlässigung könne genauso traumatisieren wie aktive körperliche, sexuelle oder emotionale Übergriffe.
Schon lange wird diskutiert, welche physischen Folgeerkrankungen langfristig aus solcher Misshandlung resultieren können und welche pathologischen Prozesse dabei ablaufen – viele Studien haben sich seit Ende der 1980er-Jahre der Frage gewidmet. Als Meilenstein gilt die mehr als 4000 Patienten überblickende ACE-Studie (Adverse Childhood Experiences), die einen engen Zusammenhang zwischen schlimmen Kindheitserfahrungen und vielen Erkrankungen im Erwachsenenalter, insbesondere auch der koronaren Herzkrankheit, herstellte.
«Anfangs konzentrierte man sich primär auf sexuellen Missbrauch, aber dann wurde klar, dass Vernachlässigung und körperliche Gewalt ähnlich deletär wirken», sagte Prof. Spitzer. Die meisten der älteren Studien weisen jedoch erhebliche methodische Limitationen auf, kaum eine hat das Thema prospektiv untersucht. Zudem stützen sie sich vor allem auf Berichte der Betroffenen selbst, sowohl hinsichtlich der psychischen Traumata als auch der somatischen Erkrankungen. Objektive Parameter wurden nur selten erhoben. Das ist erst in den letzten Jahren besser geworden.
So zeigte eine Datenauswertung der prospektiven Nurses‘ Health Study eine enge Korrelation zwischen Missbrauchserfahrungen und frühem Myokardinfarkt oder Schlaganfall, die zumindest teilweise auf modifizierbaren Risikofaktoren basierte. Eine andere Studie, ebenfalls an Frauen durchgeführt, ergab eine deutlich stärkere Intima-Media-Dicke bei Patientinnen, die als Kind missbraucht worden waren.
Stressachse wird schon früh sensibilisiert
Man geht heute davon aus, dass Missbrauch, Gewalt und Vernachlässigung mentale Störungen wie Depression, Feindseligkeit, Persönlichkeitsstörungen und posttraumatisches Stresssyndrom auslösen. Schon früh setzen neurobiologische Veränderungen ein, etwa eine Sensibilisierung der Stressachse Hypothalamus-Hypophyse-Nebenniere und autonome Dysbalancen. Das führt dazu, dass die Betroffenen ungesunde Lebensgewohnheiten annehmen, mehr rauchen, sich weniger bewegen und schlechter ernähren. Denkbar ist aber auch, dass die psychischen und neurobiologischen Störungen z. B. über freigesetzte Zytokine und Mediatoren Veränderungen induzieren, die eine subklinische Inflammation auslösen. Im Zusammenspiel fördern diese Faktoren Arteriosklerose und KHK.
Konsequenzen im Sinne der kardiovaskulären Sekundärprävention, die über die bekannten Konzepte hinausgehen, lassen sich aus diesen Erkenntnissen derzeit noch nicht ziehen. «Wir wissen nicht, wo wir in diesem komplexen und dynamischen Wechselspiel am sinnvollsten eingreifen können», räumte Prof. Spitzer ein. «Es gibt einfach noch keine Evidenz und keine Erfahrung.»
Jahrestagung Deutsche Gesellschaft für Kardiologie