Medical Tribune
4. Dez. 2013Ein Recht auf sexuelle Gesundheit

Sprechen Sie mit Herzkranken auch über Sex

Die Vorstellung vom Tod beim Ko­itus quält so manchen Herzpatienten und hemmt sein Liebesleben. "Doch es ist ein Mythos, sexuelle Aktivität berge für Menschen mit kardiovaskulärer Erkrankung besondere Gefahren", betonte Dr. Graham Jackson vom London Bridge Hospital.

"Die WHO postulierte bereits 1970, dass die Menschen auch ein Recht auf sexuelle Gesundheit haben – zu diesem Recht müssen wir ihnen verhelfen," betonte Dr. Jackson.

Es müsse zur Routine werden, Patienten mit Angina pectoris oder nach Myokardinfarkt aktiv zu einem Sexualberatungsgespräch einzuladen – am besten zusammen mit ihrem Lebenspartner, forderte der Kollege.

Beine eines Mann - Frau Paares im Bett
iStock/Ekaterina Krasnikova

Ärzte klären Herzpatienten nicht über Sex auf

Beherzigt wird dies in der Praxis aber keineswegs, wie z.B. eine Befragung von 980 Kardiologen belegt. 54 % der angeschriebenen Ärzte füllten den zugeschickten Fragebogen aus, 70 % erklärten, nicht zum Thema sexuelle Aktivität zu beraten.

Keine Zeit für eine solche Beratung lautete in 43 % der Fälle die Begründung, mangelnde Erfahrung in 35 % und keine Nachfrage vonseiten der Patienten in 54 %. Diese jedoch wünschen explizit Aufklärung von ihrem Doktor, wie Erhebungen zeigten.

Spass muss sein

In seinem Vortrag präsentierte Dr. Jackson folgende nicht ganz ernst gemeinte Tabelle zum Sex in den verschiedenen Lebensaltern:

  • 20–40 years Try daily
  • 40–50 years Try weekly
  • 50–60 years Try weakly
  • 60–70 years Try anything
  • > 70 years Try to remember

Die "Stellung" ist weitgehend egal

"Dabei ist die Stellung unerheblich und es macht keinen sehr grossen Unterschied, ob die Frau oder der Mann beim Geschlechtsverkehr oben liegt", erläuterte der britische Kardiologe.

Dass Sex nicht über Gebühr anstrengend ist, lässt sich direkt mit dem "metabolischen Äquivalent", kurz MET, belegen, einer Masseinheit, mit der sich der Energieverbrauch bei verschiedenen Aktivitäten vergleichen lässt.

Für den Sex mit einem lang bekannten Partner beträgt der Wert beim Vorspiel 1,7 und beim Geschlechtsakt 2,5 – wenn der Partner die obere Position einnimmt – und bei 3,3, wenn der Patient die obere Stellung innehat. Etwas höher ist die Belastung mit 5 bis 6 MET bei jungen Menschen und/oder neuem Sexualpartner.

Geschlechtsverkehr weniger anstrengend als Golfspiel

Zum Vergleich: Walking (5 km/Stunde) schlägt mit einem MET von 3,2 zu Buche, Golf spielen mit 5,1 und Tennisspielen sogar mit 6,8. Beim Bügeln wird der Anstrengungsgrad mit 2,0 MET veranschlagt, beim Autowaschen mit 3,3 und bei der Gartenarbeit mit 4,4.

Dazu Dr. Jackson: "Machen Sie Ihren Patienten klar, dass der Geschlechtsverkehr ihr Herz im Allgemeinen nicht stärker belastet als das Autowaschen und deutlich weniger sogar als das Golfspielen."

Patienten, die beim Belas­tungs-EKG 5 bis 6 MET bewältigen ohne eine signifikante Ischämie, Arrhythmien oder einen deutlichen Abfall des systolischen Blutdrucks zu zeigen, können demnach durchaus ihre normalen sexuellen Gewohnheiten beibehalten.

Regelmässige Bewegung senkt die Infarktgefahr

Das bekräftigt eine US-Studie, in der bei 1774 KHK-Patienten ermittelt wurde, wie hoch im Vergleich zu Herzgesunden das relative Risiko ist, innerhalb von zwei Stunden nach sexueller Aktivität einen Herzinfarkt zu erleiden. Es lag für Frauen bei 1,3 und für Männer bei 2,7.

Wichtige Info für Ihre Patienten: Deutlich senken lässt sich die Infarktgefahr offenbar durch regelmässige körperliche Aktivität. Denn bei Bewegungsmuffeln steigt das relative Risiko auf 3,0, bei körperlich fitten Patienten sinkt es auf nurmehr 1,2.

Tot im Bett der Geliebten

Viel höher als beim ehelichen Sex ist die Gefahr fürs Herz, wenn statt der gewohnten Partnerin die (meist deutlich jüngere) Geliebte das Bett mit dem KHK-Patienten teilt.

Das hat eine Auswertung plötzlicher Todesfälle beim Geschlechtsakt ergeben. In der Mehrzahl der Fälle ereignete sich der "Coital Sudden Death" in "unfamiliar setting" nach einem üppigen Essen und reichlichem Alkoholkonsum.

Quelle: ESC-Kongress 2013 in Amsterdam