Mykoplasmen-Pneumonie bei Kindern und Erwachsenen
Seit Sommer 2023 steigen weltweit die Mykoplasmen-Fälle. Auch in der Schweiz häufen sich die durch das Bakterium versursachten Pneumonie-Fälle. Infektiologe PD Dr. Dr. Patrick M. Meyer Sauteur vom Kinderspital Zürich erklärt, was bei Diagnose und Therapie zu beachten ist.
Mykoplasmen sind winzige, zellwandlose Bakterien, die oft hinter ambulant erworbenen, atypischen, Pneumonien stecken, berichtet PD Dr. Dr. Patrick Meyer Sauteur, Oberarzt für Infektiologie und Spitalhygiene am Universitäts-Kinderspital Zürich-Eleonorenstiftung (1).
Unter anderem ihre natürliche Resistenz gegen Beta-Lactam-Antibiotika macht Mykoplasmen dabei in der Behandlung herausfordernd.
«Man ist lange krank, bevor man zum Arzt geht»
Eine Infektion mit Mycoplasma pneumoniae befällt die unteren Atemwege und verursacht bei Kindern und Erwachsenen oft langanhaltende, meist nicht schwere Symptome, bekannt als «Walking Pneumonia». Die Krankheit bleibt häufig unentdeckt, da Patienten nicht sofort medizinische Hilfe suchen, erklärt PD Dr. Dr. Meyer Sauteur. Typischerweise dauern die Atemwegssymptome und das Fieber mehr als sechs Tage.
In der Pädiatrie betrifft der Erreger vor allem – meist ansonsten gesunde – Kinder im Schulalter. Ein Hinweis auf eine Mykoplasmen-Pneumonie ist, wenn eine Behandlung mit Beta-Lactam-Antibiotika wie Amoxicillin keine Besserung bringt. Charakteristisch für Mykoplasmen ist weiter, dass auch die übrige Familie des Patienten von Atemwegssymptomen betroffen ist.
Entzündungswerte wie Procalcitonin (PCT) und CRP sind bei betroffenen Kindern meist normal bis leicht erhöht. Bei Jugendlichen und Erwachsenen ist oft nur das CRP, nicht aber PCT erhöht.
Bei Kindern treten ausserdem gelegentlich Hautsymptome wie Exantheme, Urtikaria, oder seltener eine typische Mukositis der Augen, der Lippen und des Anogenitalbereichs (M. pneumoniae-induced rash and mucositis, MIRM) auf.
Nach Covid erst nun wieder zurück
Die globalen Mykoplasmen-Inzidenzen werden seit dem Jahr 2017 weltweit an ausgewählten Standorten im Rahmen der Studie ESGMAC MAPS (Mycoplasma pneumonie Surveillance) beobachtet. «Darin lässt sich ablesen, dass die Covid-19-Pandemie signifikante Veränderungen mit sich gebracht hat», berichtet PD Dr. Dr. Meyer Sauteur.
So sank nach der Einführung der Covid-19-Massnahmen die Inzidenz der Mykoplasmen ähnlich wie die von vielen anderen Erregern von Atemwegserkrankungen stark ab. Während jedoch respiratorische Erreger wie das Respiratory Syncytial Virus (RSV) oder Influenza nach den Lockerungen der Massnahmen allmählich zurückkehrten, blieben die Mykoplasmen über längere Zeit auf einem ungewöhnlich niedrigen Niveau, so der Experte.
Am Kinderspital Zürich hatte man von Beginn der Covid-19-Massnahmen bis Ende des Jahres 2022 keinen einzigen positiven Mykoplasmen-Nachweis verzeichnet.
Im Jahr 2023, drei Jahre nach der Pandemie, beobachtete man schliesslich weltweit ein Wiederauftreten von Mykoplasmen-Infektionen – ab Oktober 2023 auch in der Schweiz. Dabei kam es zu einer stark erhöhten Inzidenz, die auf ein deutlich höheres Niveau anstieg, als man es von den bisher bekannten typischen Peaks im Herbst und Winter vor der Pandemie gewöhnt war.
Dr. Meyer Sauteur erklärt, dass das verzögerte Wiederauftreten unter anderem mit der langen Generationszeit von M. pneumoniae zusammenhängt. «Im Moment haben wir jedoch kaum mehr Herdenimmunität, was zu zahlreichen Infektionen führt.»
Was tun bei Mykoplasmen-Infektionen in der Praxis?
Vorgehen bei gutem Allgemeinzustand
Bei Kindern mit ambulant erworbener Pneumonie und gutem Allgemeinzustand wird primär keine Erregerdiagnostik empfohlen, sagt der Experte. Die Therapie der Wahl ist dann «Watchful Waiting», sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen, sofern eine ausführliche Aufklärung der Eltern über Warnzeichen, welche zu einer sofortigen beziehungsweise zeitnahen Wiedervorstellung führen müssen, erfolgt und ein Follow-up-Besuch nach zwei bis drei Tagen gewährleistet ist.
Leitliniengemäss beginnt man ausserdem bei einer ambulant erworbenen Pneumonie mit einer Antibiotikatherapie mit Amoxicillin. Dieses Antibiotikum ist gegen die meisten bakteriellen Erreger (v. a. Pneumokokken) wirksam – jedoch nicht gegen Mykoplasmen. «Führt diese zu keiner Besserung, stecken meist Mykoplasmen dahinter. Dann kann man eine gezielte Therapie mit Makrolid- oder Tetrazyklin-Antibiotika in Erwägung ziehen», so PD Dr. Dr. Meyer Sauteur.
Behandelt wird dann mit Clarithromycin bei Kindern unter 8 Jahren bzw. Doxycyclin bei Kindern ab 8 Jahren. Haben Patienten zusätzliche Hautsymptome sollte die Weiterbehandlung in der Klinik erfolgen. Denn die Hautläsionen können rasch fortschreiten; möglicherweise ist eine Steroidtherapie nötig.
Vorgehen bei reduziertem Allgemeinzustand
Weisen Patienten einen reduzierten Allgemeinzustand auf, empfiehlt sich eine Mykoplasmen-Diagnostik mittels PCR von Nasopharyngealsekret, bzw. anschliessender Behandlung mit Makrolid- oder Tetrazyklin-Antibiotika bei positivem Nachweis.
«Die ganze Schweiz hustet»
Da im Moment Rekord-Inzidenzen von Mykoplasmeninfektionen festgestellt werden, kann man bei Betroffenen mit passenden Symptomen und starkem Leidensdruck auch sofort mit einer Antibiotikatherapie gegen Mykoplasmen beginnen, sagt PD Dr. Dr. Meyer Sauteur.
Mit dem mittlerweile stattgefundenen Schulbeginn würden die Infektionszahlen voraussichtlich auch noch steigen, so der Experte. Hinweise auf eine Veränderung der zirkulierenden Mykoplasmen seit Covid-19, etwa auf eine erhöhte Virulenz, gibt es aber einstweilen nicht.
Makrolid-Antibiotika: zunehmende Resistenzentwicklung, kaum Evidenz
«Weil Makrolide so gut verträglich sind und breit eingesetzt werden, ist die Resistenzentwicklung bei Mykoplasmen mittlerweile ein bedeutendes Problem», berichtet PD Dr. Dr. Meyer Sauteur. In einigen Regionen, besonders in Asien, sind über 80 Prozent der Mykoplasmen-Stämme resistent gegen die Antibiotikaklasse.
Da Erythromycin wegen häufiger Nebenwirkungen und kurzer Halbwertszeit mittlerweile nur mehr selten angewendet wird, kommen vermehrt Clarithromycin oder Azithromycin zum Einsatz. Sie zeichnen sich durch gute Bioverfügbarkeit und seltene Nebenwirkungen aus.
Der zunehmende Einsatz von Azithromycin verschärft jedoch die Resistenzentwicklung: «Wegen seiner langen Halbwertszeit sind zahlreiche kolonisierende Bakterien der Atemwege sehr lange gegenüber Azithromycin exponiert – das ist ein bedeutender Faktor bei der Bildung von Resistenzen» erklärt der Experte. Am Kinderspital Zürich wird der Einsatz von Azithromycin bei Kindern daher strikt vermieden.
In der Schweiz liegt die Makrolid-Resistenzrate zwar «nur» bei ca. 10 Prozent gemäss Studien vor der Covid-19 Pandemie; «wir müssen das dennoch immer im Hinterkopf behalten, wenn es kein Ansprechen auf Makrolide gibt.»
Neben der Resistenz-Problematik haben Antibiotika gegen Mykoplasmen noch ein anderes Problem. Denn obwohl sie regelmässig für die Indikation eingesetzt werden, ist die Wirksamkeit von Makrolid-Antibiotika bei der Mykoplasmen-Pneumonie alles andere als unumstritten. In der MYTHIC-Studie, an der PD Dr. Dr. Meyer Sauteur selbst beteiligt ist, will ein Forscherteam klären, ob Makrolide die Pneumonie-Symptome besser beseitigen als ein Placebo.
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- Meyer Sauteur PM. Atypische Pneumonie: Mykoplasmen-Infektion bei Kindern und Erwachsenen. FomF WebUp Update Infektiologie, am 3. September 2024