Medical Tribune
13. Dez. 2023GDF15 aus der Plazenta verursacht Übelkeit und Erbrechen

Hinter der Schwangerschaftsübelkeit steckt wohl ein Hormon

Lange Zeit war der Grund für die Schwangerschaftsübelkeit, die bis zu 80 Prozent der Schwangeren plagt, ein Rätsel. Nun konnten britische Forscher zeigen, dass hinter den oft quälenden Symptomen das fetale Hormon GDF15 steckt. Die Entdeckung öffnet möglicherweise das Tor für wirksame Behandlungsoptionen.

Vor allem in der Frühschwangerschaft leiden eigentlich die meisten Frauen an Übelkeit und Erbrechen.
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Vor allem in der Frühschwangerschaft leiden eigentlich die meisten Frauen an Übelkeit und Erbrechen.

Die meisten Frauen leiden vor allem in den ersten drei Monaten einer Schwangerschaft an Übelkeit und Erbrechen. Bei 0,3 bis drei Prozent der Schwangeren tritt jedoch so starkes Erbrechen auf, dass sie oft eine Spitalsbehandlung benötigen. Dies wird als Hyperemesis gravidarum bezeichnet (1).

Schwangerschaftsübelkeit: Höhepunkt meist zwischen SSW 9 und 16

Viele Frauen verspüren bereits ab der 6. Schwangerschaftswoche ein Unwohlsein. Zwischen der 9. und 16. Woche erreichen die Symptome normalerweise ihren Höhepunkt und klingen dann bis zur 17. Woche ab. In seltenen Fällen (10-20 Prozent) bleiben die Symptome während der gesamten Schwangerschaft bestehen (1).

Die Schwangerschaftsübelkeit wird oft als Morgenübelkeit bezeichnet, da sie häufig am stärksten am Morgen auftritt. Es wird vermutet, dass ein niedriger Blutzuckerspiegel vor dem Frühstück die Übelkeit verstärkt. Aus diesem Grund wird empfohlen, während der Schwangerschaft regelmässig kleine Mahlzeiten über den Tag verteilt einzunehmen.

Warum nicht alle Frauen an Schwangerschaftsübelkeit leiden

Forscher vermuten nun, dass ein Hormon namens GDF15 für die Schwangerschaftsübelkeit verantwortlich ist. Die Konzentration dieses Hormons variiert von Schwangerschaft zu Schwangerschaft. Je stärker die Mutter diesem ausgesetzt ist, umso kränker fühlt sie sich, so das Ergebnis der Arbeit, die Mitte Dezember 2023 im Fachjournal Nature veröffentlicht wurde (2).

GDF15 wird im fetalen Anteil der Plazenta produziert, und wirkt auf das Gehirn der Mutter, wo es Übelkeit und Erbrechen auslöst. Die Forscher konnten nachweisen, dass Frauen mit hohen GDF15-Spiegeln im Blut intensivere Schwangerschaftsübelkeit erleben.

Zusätzlich zur Plazenta wird GDF15 auch in geringen Mengen von anderen Organen produziert. Frauen mit einer seltenen Mutation, die zu niedrigen GDF15-Spiegeln vor der Schwangerschaft führt, hatten in der Studie ein erhöhtes Risiko für Hyperemesis gravidarum. Im Gegensatz dazu litten Teilnehmerinnen mit der erblichen Blutkrankheit Beta-Thalassämie, die zu natürlicherweise hohen GDF15-Spiegeln vor der Schwangerschaft führt, nur selten unter Schwangerschaftsübelkeit und Erbrechen.

Die Forscher vermuten daher, dass eine vorherige Exposition gegenüber kleinen Mengen GDF15 vor der Schwangerschaft zu einer gewissen Resistenz gegen Schwangerschaftsübelkeit führen könnte. Dies zeigten sie in Tierversuchen an Mäusen, denen sie zuerst kleine Mengen eines lange wirksamen GDF15 verabreichten. Die so vorbehandelten Mäusedamen waren wesentlich weniger empfindlich gegen hohe Gaben von GDF15, die bei zuvor nicht mit GDF15 behandelten Artgenossinnen Symptome von Übelkeit hervorriefen.

Bislang nur wenig wirksame Therapien

Für die Schwangerschaftsübelkeit stehen nur wenige wirksame Therapien zur Verfügung. Viele Frauen haben zudem Bedenken, in der Schwangerschaft Medikamente anzuwenden, oder ihre Ärzte nehmen die Symptome nicht als behandlungsbedürftig wahr, so die Autoren. Das führt dazu, dass viele Frauen mit Schwangerschaftsübelkeit unterbehandelt sind.

Vorbeugende Massnahmen wie regelmässige Mahlzeiten und das Trennen von Essen und Trinken können hilfreich sein. Auch der Verzicht auf Eisenpräparate kann die Symptome lindern. Einige Frauen berichten von positiven Effekten durch die Einnahme von Ingwerpräparaten oder speziellen Akupunktursitzungen.

Placebokontrollierte Studien haben zudem gezeigt, dass Vitamin B6 (Pyridoxin) wirksam gegen die Schwangerschaftsübelkeit ist. Es wird sowohl allein als auch in Kombination mit Antihistaminika (H1-Antagonisten) eingesetzt. Bei schwerer Hyperemesis können auch weitere Medikamente zum Einsatz kommen (1).

Professor Sir Stephen O'Rahilly von der University of Cambridge, der die internationale Studie leitete, äusserte sich optimistisch: «Wir sind zuversichtlich, dass eine effektive und sichere Methode zur Behandlung der Schwangerschaftsübelkeit darin besteht, GDF15 daran zu hindern, seinen hochspezifischen Rezeptor im Gehirn der Mutter zu erreichen.»