Medical Tribune
29. Nov. 2023Patientinnen bilden perimenstruell verstärkt vasodilatatorisches Neuropeptid

Wie Migräne vom Zyklus abhängt

Frauen sind dreimal häufiger von Migräne betroffen als Männer. Das liegt unter anderem an den Hormonschwankungen im Zusammenhang mit dem Zyklusgeschehen: Migräneattacken treten oft kurz vor oder während der Regelblutung auf. Ein Forscherteam hat nun einen Hinweis auf die Ursache gefunden.

Illustration: CGRP Molekül dockt an Rezeptor an
Science Photo Library/GaertnerJuan
Dockt ein CGRP-Molekül (gelb) am Rezeptor an, führt die Signalkaskade über G-Proteine (dunkelblau) zur Vasodilatation

Im Zuge des weiblichen Zyklus fluktuieren die Sexualhormone. Während der Regelblutung kommt es zu einem Abfall der Plasmakonzentration von Östrogen.

Die Östrogen-Entzugs-Hypothese besagt, dass dies der Grund für die häufig auftretenden Migräneattacken vor oder während der Regelblutung sein könnte. Eine neue Studie hat nun weitere Erkenntnisse zu diesem Phänomen geliefert.

180 Migräne-Patientinnen untersucht

Die betroffenen Frauen bilden während der Menstruation offenbar besonders grosse Mengen des Botenstoffs CGRP (Calcitonin Gene-Related Peptide), berichten Dr. Bianca Raffaelli vom Kopfschmerzzentrum der Charité Universitätsmedizin Berlin und ihre Kollegen (1). Das Neuropeptid CGRP wird durch Trigeminus-Afferenzen freigesetzt und löst eine entzündliche Reaktion aus. Bei Migräne wird vermehrt CGRP ausgeschüttet, was zu einer zentralen Vasodilatation führt.

CGRP wird bei Migräne vermehrt ausgeschüttet und wirkt zentral vasodilatatorisch. Ob ein Zusammenhang zwischen der CGRP-Freisetzung und dem weiblichen Hormonzyklus besteht, untersuchten die Forscher bei 90 Patientinnen mit einer episodischen Migräne, die zum Messzeitpunkt symptomfrei waren. 30 Frauen menstruierten regelmäs­sig, 30 nahmen eine Kombinationspille ein und 30 befanden sich in der Postmenopause. Als Vergleichsgruppe dienten jeweils 30 altersgleiche Frauen ohne Migräne.

CGRP steigt zu Beginn der Regelblutung an

Bei allen 180 Teilnehmerinnen der Studie wurde die Konzentration von CGRP im Blutplasma und in der Tränenflüssigkeit gemessen. Dies erfolgte bei den Frauen mit Regelblutung wurde zu Beginn des Zyklus und periovulatorisch. Bei den Pillenanwenderinnen erfolgte die Messung im einnahmefreien Intervall und nach sieben bis 14 Pilleneinnahmen. Und bei den postmenopausalen Frauen wurde die Messung zu einem beliebigen Zeitpunkt durchgeführt.

Zu Beginn der Regelblutung wiesen die Migränepatientinnen deutlich höhere CGRP-Konzentrationen auf als die gesunden Kontrollgruppen. Die Wissenschaftler führen diese CGRP-Ausschüttung auf den Östrogenabfall während der Perimenopause zurück. Östrogenrezeptoren sind in CGRP-positiven Neuronen im trigeminovaskulären System stark ausgeprägt, weshalb hormonelle Schwankungen ihre Erregbarkeit beeinflussen könnten.

Hormonelle Kontrazeptiva unterdrücken die zyklusabhängigen hormonellen Schwankungen. Bei den Migränepatientinnen, die die Pille einnahmen, unterschieden sich die CGRP-Spiegel nicht von denen der gesunden Pillenanwenderinnen. Das gleiche galt für die postmenopausalen Frauen. Die Autoren betonen jedoch, dass noch weitere Untersuchungen notwendig sind, um zu prüfen, inwieweit sich diese neuen Erkenntnisse therapeutisch nutzen lassen.