Medical Tribune
15. Juni 2021Unterstützungsmassnahmen bei sexueller Dysfunktion

Befriedigender Sex trotz Krebs

Sexuelle Dysfunktion ist ein häufiger Nebeneffekt von Tumorbehandlungen. «Um sie sollten sich Ärzte wie um andere Nebenwirkungen kümmern», forderte Dr. Eliane Sarasin, Swiss Breast Care und Brustzentrum Seefeld in Zürich, in einem Vortrag am Kongress für praktische Gynäkologie und Geburtshilfe (KPGG) und gab einige Tipps, wie onkologische Patientinnen unterstützt werden können.

Älteres Paar, das sich im Bett versteckt, das unter Laken lächelt und lacht.
iStock/monkeybusinessimages

Es gibt viele Gründe, warum sich Krebspatienten nicht von der Sexualität verabschieden möchten. «Für die einen ist sie eine Ressource für Lebensfreude, Identität und Lebensqualität, anderen gibt sie das Gefühl, noch immer begehrenswert zu sein und/oder sich als Paar noch immer nahe und vertraut zu fühlen», erklärte Dr. Sarasin.

Auch im medizinischen Kontext hat Sexualität wichtige Funktionen. So haben Patienten, die in einer funktionierenden Beziehung sind, eine bessere Compliance und können die Diagnose Krebs und die Therapie besser verarbeiten. Sex haben führt zudem zu einer Endorphin- und Oxytocin-Ausschüttung, verbessert den Schlaf, analgesiert, fördert die Durchblutung im kleinen Becken, trainiert die Beckenbodenmuskulatur und ist die beste Therapie gegen das urogenitale Menopausensyndrom, so die Referentin.

Alterung im Zeitraffer unter Krebstherapie

Allerdings ist eine sexuelle Dysfunktion ein häufiger Nebeneffekt von Krebstherapien. Bis zu 91 % der Frauen mit Mammakarzinom sind davon betroffen; drei Viertel sind weniger sexuell aktiv als vor der Krebsdiagnose, 30 % verzichten ganz auf Sex. «Am häufigsten sind die Erregung und die Orgasmusfähigkeit gestört», sagte Dr. Sarasin. Vielen fehlt auch die Lust am und auf Sex, etwa weil sie müde sind, trockene Schleimhäute und Schmerzen haben, Medikamente wie SSRI einnehmen oder sie sich nicht mehr attraktiv fühlen. Denn zu den psychischen Folgen einer Tumorbehandlung kommen auch gravierende körperliche Veränderungen hinzu: Narben, Stomata, eine vulvovaginale Atrophie oder Gewichtsveränderungen.

«Junge Frauen erleben unter der Therapie die Alterung ihres Körpers im Zeitraffer von wenigen Monaten», erklärte die Expertin. Die körperlichen Veränderungen führen mitunter dazu, dass sich die Frauen nicht mehr nackt vor ihrem Partner zeigen können und sich Scham, Schweigen und Distanz in die Beziehung einschleichen. Hinzu kommen oft auch quälende Fragen wie: «Kann ich mich dir noch zumuten, erträgst du noch meinen Anblick, bin ich nur noch Patientin oder doch auch noch Partnerin und begehrenswerte Frau?».

Umgekehrt fühlt sich der gesunde Partner nicht selten stark verunsichert und fragt sich: «Darf ich meiner Partnerin überhaupt noch zeigen, dass ich Lust auf Sex habe?» Oder: «Wie kann ich ihr – ohne sie zu verletzen – sagen, dass ich im Moment noch ein bisschen Mühe habe mit dem veränderten Körper?»

Als Ärztin die eigene Haltung überdenken

«In dieser schwierigen Situation können Ärzte ihre Patientinnen am besten unterstützen, indem sie sie auf die Sexualität ansprechen», erläuterte Dr. Sarasin. Das gelingt zum Beispiel, indem man sagt: «Viele Menschen in dieser Situation haben Probleme in der Sexualität. Darf ich fragen, wie das bei Ihnen ist?».

40 % der Patientinnen wünschen sich, von ihrer Ärztin auf die Sexualität angesprochen zu werden. Das Thema wird aber immer noch oft wie ein blinder Fleck ausgeblendet. Als mögliche Gründe nannte die Expertin die eigene Haltung zur Sexualität, die Angst vor Nähe und zu viel Zeit zu verlieren oder der Glaube, der Patientin therapeutisch nichts anbieten zu können.

Eine Unterstützung können bereits Informations-Broschüren bieten, die an die Frauen abgegeben werden mit der Einladung, sich bei Fragen ungeniert bei der nächsten Konsultation an den Arzt zu wenden. Auch ein gutes Gleitgel, eine vaginale Hormoncreme und die Aufklärung darüber, wie sich die Frau im Intimbereich richtig pflegt, können hilfreich sein.

«Funktion ist aber nicht alles. Sexualität ist mehr als Geschlechtsverkehr, sie umfasst auch Berührung, Zärtlichkeit Fantasie, Gedanken», betonte Dr. Sarasin. Es kann daher sinnvoll sein, einem Paar einmal in einer Sprechstunde den Rahmen zu geben, um miteinander über Sexualität, Emotionen, Wünsche und Erwartungen zu sprechen. «Viele Zentren bieten überdies onko-sexologische Sprechstunden an, in die Patientinnen geschickt werden können», so die Expertin.