Medical Tribune
4. Aug. 2024Neue Leitlinie der AGA

Zyklisches Erbrechen (Cyclic Vomiting Syndrome) in den Griff bekommen

Nicht wenige Menschen leiden am zyklischen Erbrechen (Cyclic Vomiting Syndrome, CVS), einer Störung der Darm-Hirn-Achse. Die richtige Diagnose lässt bei ihnen oft lange auf sich warten. Die American Gastroenterological Association (AGA) hat den aktuellen Wissensstand zu Diagnose und Management zusammengefasst.

Das zyklische Erbrechen wird oft spät oder gar nicht erkannt.
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Das zyklische Erbrechen wird oft spät oder gar nicht erkannt.

Das zyklische Erbrechen (Cyclic Vomiting Syndrome, CVS) äussert sich durch plötzliche, wiederholte Attacken schwerer Übelkeit und unkontrollierbaren Erbrechens, oft ohne erkennbare Ursache.

Schätzungen zufolge sind rund zwei Prozent der Erwachsenen von CVS betroffen, bei Frauen tritt es etwas häufiger auf. Oft erhalten sie jedoch keine oder falsche Diagnosen, was die Behandlung verzögert. Bei episodischen Erbrechensattacken sollte man daher immer auch an CVS denken, schreiben die Experten der American Gastroenterological Association (AGA, 1).

Migräne-ähnliche Rhythmik

Das zyklische Erbrechen verläuft in vier Phasen:

  1. Interepisodische Phase: Phase mit wenig Symptomen und ohne Erbrechen
  2. Prodromale Phase: Vorhandensein von stereotypen Symptomen rund eine Stunde vor der akuten Brechreizphase
  3. Emetische Phase: Akute Brechreizphase
  4. Erholungsphase: Abklingen der Symptome

Die Brechreizphasen dauern Stunden bis Tage und gehen mit Würgereiz und permanenter Übelkeit einher, die stark einschränken.

Rund 65 Prozent der Patienten erleben eine Prodromalphase mit typischen Symptomen wie bedrohlichem Gefühl oder Panikattacken. CVS kann während der prodromalen oder der emetischen Phase mit zahlreichen konstitutionellen, kognitiven, affektiven, autonomen oder motorischen Symptomen einhergehen, darunter:

  • Müdigkeit,
  • Hitze- oder Kältegefühl,
  • «Brain Fog»
  • Unruhe,
  • Angstzustände,
  • Kopfschmerzen,
  • Stuhldrang,
  • akuter Durchfall oder Verstopfung,
  • Bauchschmerzen,
  • Schwitzen,
  • Erröten,
  • Zittern oder
  • Tremor

Normalerweise treten sie bei Betroffenen immer in der gleichen Reihenfolge auf.

Viele Patienten finden während der Prodrom- oder akuten Phasen Erleichterung durch heisses Abduschen des Rückens und Oberkörpers. Einige nutzen Cannabis, was oft als Cannabinoid-Hyperemesis-Syndrom (CHS) gedeutet wird. Man nimmt an, dass CHS mit CVS verwandt ist, Cannabis aber bei vielen Patienten Übelkeit und Erbrechen lindern kann.

Ähnlich wie bei Migräne werden CVS-Anfälle oft durch psychologische oder physiologische Faktoren wie Stress, Schlafentzug, Hormonfluktuationen (z.B in Verbindung mit dem Menstruationszyklus), Reisen, Reiseübelkeit oder akute Infektionen ausgelöst.

Klinische Diagnose zyklisches Erbrechen

Die klinische Diagnose erfolgt nach den ROM-IV-Kriterien:

  • Stereotypische Episoden von akutem Erbrechen, die weniger als 7 Tage dauern
  • Mindestens 3 Episoden pro Jahr, davon 2 in den letzten 6 Monaten, mit mindestens 1 Woche akzeptablem Allgemeinzustand dazwischen.
  • Keine Erbrechenssymptome zwischen den Episoden, milde Symptome wie Übelkeit und Dyspepsie können auftreten.

Eine persönliche oder familiäre Migräneanamnese unterstützt die Diagnose.

Die American Neurogastroenterology and Motility Society (ANMS) und die Cyclic Vomiting Syndrome Association (CVSA) unterteilen CVS in zwei Schweregrade:

  • Leicht: Weniger als 4 Episoden pro Jahr, die unter 2 Tagen dauern, ohne Notaufnahmebesuche oder Krankenhausaufenthalte.
  • Mittelschwer bis schwer: Mehr als 4 Episoden pro Jahr, die jeweils mehr als 2 Tage dauern, plus mindestens 1 Notaufnahmebesuch oder Krankenhausaufenthalt.

Zusätzlich empfiehlt die ANMS-CVSA-Leitlinie Tests, um ähnliche Zustände auszuschliessen, einschliesslich grundlegender Blutuntersuchungen und einmaliger gastrointestinaler Bildgebung, jedoch keine routinemässigen Magenentleerungstests.

Management des zyklischen Erbrechens

Die Behandlung des zyklischen Erbrechens erfordert einen ganzheitlichen Ansatz mit pharmakologischen und nicht-pharmakologischen Strategien.

Vor allem in der interepisodischen Phase gehören dazu Lebensstilmodifikationen wie das Erkennen und Kontrollieren von Triggern, regelmässiger Schlaf und Stressmanagementtechniken.

Nahrungsergänzungsmittel wie Coenzym Q10, L-Carnitin und Riboflavin (Vitamin B2) können möglicherweise die Mitochondrienfunktion unterstützen und Symptome lindern.

Für mittelschweres bis schweres CVS wird ausserdem eine prophylaktische Therapie empfohlen. Trizyklische Antidepressiva sind die bevorzugte Erstlinienbehandlung, während Topiramat, Aprepitant, Zonisamid und Levetiracetam als Zweitlinienoptionen gelten. Diese Medikamente sollen die symptomfreien Phasen verlängern und die Schwere und Dauer der Erbrechensphasen reduzieren.

Die abortive Therapie soll die emetische Phase vermeiden oder abschwächen und sollte früh in der prodromalen Phase beginnen. Häufig verwendete Medikamente sind Sumatriptan und Antiemetika wie Ondansetron. Sumatriptan kann als Nasenspray oder subkutan verabreicht werden, Ondansetron ist in sublingualer Form verfügbar, was die Absorption verbessert. Eine weitere wirksame abortive Strategie ist die Sedierung mit Diphenhydramin oder Benzodiazepinen.

In der Notaufnahme sollten alle Patienten mit unkontrolliertem Würgen und Erbrechen unabhängig von einer möglichen CHS-Diagnose behandelt werden. Starke Bauchschmerzen können in schweren Fällen eine narkotische Schmerzbehandlung erfordern, wobei nicht-narkotische Ansätze bevorzugt werden. Patienten sollten in einer ruhigen, dunklen Umgebung behandelt und mit IV-Flüssigkeiten und antiemetischen Medikamenten versorgt werden.

Behandlung von Begleiterkrankungen ist sinnvoll

CVS geht oft mit Begleiterkrankungen einher, am häufigsten mit Stimmungsstörungen wie Angstzuständen, Depressionen und Panikattacken, die bei 50 bis 60 Prozent der Betroffenen auftreten. Eine begleitende Migräne haben ausserdem 20 bis 30 Prozent der CVS-Betroffenen.

Bei einer beträchtlichen Untergruppe von Patienten sind autonome Ungleichgewichte wie das posturale orthostatische Tachykardiesyndrom zu beobachten.

Die Behandlung dieser Begleiterkrankungen kann zu besseren klinischen Ergebnissen führen: So kann die Behandlung von Angstzuständen die Häufigkeit von CVS-Episoden verringern und die interepisodische Übelkeit verbessern, und die Behandlung des posturalen orthostatischen Tachykardiesyndroms den allgemeinen Funktionsstatus der Patienten verbessern.