Medical Tribune
31. Okt. 2022Phytotherapie

Hilft Ingwer gegen Übelkeit und Erbrechen während einer Chemotherapie?

Ingwer wird schon lange zur Behandlung von Magen-Darm-Erkrankungen und Reiseübelkeit eingesetzt. Aber auch bei Übelkeit und Erbrechen im Zusammenhang mit einer Chemotherapie könnte sich ein Therapieversuch mit Ingwer oder einem Ingwer-Inhaltsstoff lohnen.

Ginger with leaves isolated on white background as package design element
Tetiana Rostopira/gettyimages

Der in Ingwer ­enthaltene Wirkstoff 6-Gingerol hat einen prokinetischen Effekt.

Häufige Nebenwirkungen von Chemotherapien sind Übelkeit und Erbrechen. Diese Beschwerden werden standardmässig mit Anti­emetika wie Dopamin-Antagonisten, 5-HT3-Antagonisten und Antileukin-Antagonisten behandelt. Aber auch unter der Einnahme dieser Präparate leiden etliche Patienten weiter unter Chemotherapie-induzierter Nausea und Chemotherapie-induziertem Vomitus (CINV), erklärt Dr. Durk Meijer, niedergelassener Arzt in Overdinkel, Niederlande, am Tetranationalen Phytotherapie-Kongress.

CINV: Übelkeit sofort oder nach drei bis fünf Tagen

Diese Probleme schränken die Lebensqualität bei etwa 20 prozent der Patienten deutlich ein. Es besteht deshalb ein Bedarf an zusätzlichen Therapien, die CINV wirksam reduzieren können.

Zu unterscheiden ist zwischen akutem, verzögertem und antizipierendem CINV. Im ersten Fall treten Übelkeit und Erbrechen innerhalb 24 Stunden nach Verabreichung einer Chemotherapie auf. «Im zweiten fühlen sich die Patienten nach 24 Stunden für drei bis fünf Tage übel», so der Experte. Der antizipierenden CINV-Form liegt eine konditionierte Reaktion zu Grunde, bei der auch psychologische und neurovegetative Ursachen eine Rolle spielen. Diese nehmen zu, wenn Patienten mehrere aufeinanderfolgende Chemotherapien durchlaufen haben.

Ingwer und CINV in Studien: Von hilfreich bis wirkungslos

Beim Menschen wird Ingwer schon lange als Mittel gegen Magen-Darm-Erkrankungen und Reiseübelkeit eingesetzt. Die Wirkung ist insbesondere auf einen prokinetischen Effekt des Inhaltsstoffes 6-Gingerol zurückzuführen. Zudem bestehen Hinweise für eine 5-HT3- und NK1-antagonistische sowie für eine antihistaminische Wirkung (1).

Noch dünn ist die Evidenz für Ingwer bei CINV. «Zwar gibt es viele klinische randomisierte und placebokontrollierte Studien, doch ihre Aussagekraft ist aufgrund mangelnder Qualität oder der geringen Anzahl eingeschlossener Patienten gering», sagte Referent.

Eine Arbeit (2) fand beispielsweise keinen signifikanten Unterschied zwischen onkologischen Patienten, die zusätzlich zu einer antiemetischen Standardtherapie einen standardisierten Ingwerextrakt oder nur Placebo bekommen hatten. In einer anderen Studie (3) mit dem isolierten Wirkstoff 6-Gingerol war die komplette Ansprechrate in der Verum-Gruppe insgesamt über alle Chemotherapie-Zyklen hinweg signifikant höher als im Placebo-Arm. Zudem nahm der mittlere Appetitwert unter Placebo im Vergleich zu Ingwer progressiv ab.

Eine weitere placebokontrollierte Arbeit (4) mit fünfprozentigen Gingerol als Adjuvans zu einer antiemetischen Standardtherapie ergab, dass sich mit dem Ingwer-Bestandteil die Lebensqualität von Patienten mit CINV im ersten und dritten Zyklus deutlich verbesserte und auch die Müdigkeit geringer als mit Placebo war. Im zweiten Zyklus war der Unterschied statistisch nicht signifikant.

Einige Patienten könnten profitieren

«Für eine Empfehlung braucht es noch weitere Studien», so das Fazit von Dr. Meijer. Aufgrund der vorhandenen Daten lässt sich aber durchaus schliessen, dass zumindest einzelne Krebspatienten mit CINV von Ingwer profitieren könnten. «Therapieversuche sind – ausser bei antikoagulierten Patienten – möglich und lohnen sich allemal», erklärte der Experte. Das Risikopotenzial von Ingwer ist sehr gering. «Entsprechende Zubereitungen sind durch Monografien der ESCOP und des HMPC (well-established use) bei der Reisekrankheit abgedeckt und zum Teil durch Zulassungen bestätigt», so Dr. Meijer.

In der Schweiz beispielsweise erlaubt Swissmedic ein Ingwerpulverpräparat gegen Erbrechen im Zusammenhang mit Fieber bereits für Kindern ab 6 Jahren.

Referenzen