Ernährungsthesen werden über Bord geworfen
An der Wirksamkeit von Lebensstilinterventionen besteht kein Zweifel mehr – spätestens seit 2001 eine finnische Diabetes-Primärpräventions-Studie an 522 Personen belegte, dass sich u.a. mithilfe diätetischer Massnahmen das Erkrankungsrisiko drastisch reduzieren lässt, sagte Professor Dr. Stephan Martin vom Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrum Düsseldorf. Was die damaligen Vorgaben – wenig Fett, viel Ballaststoffe, viel Gemüse und viel Fitness – angeht, "so würden wir allerdings heute andere Vorgaben machen", kommentierte der Experte.
Immerhin lautete das Resultat der finnischen Arbeit: Reduktion des Diabetesrisikos in der Interventionsgruppe um 58 % nach drei Jahren, und das trotz nur moderater Gewichtsreduktion. Die körperliche Aktivität führte demnach auch ohne Abspecken zur Risikoreduktion.
Sport schützt sogar ohne Abnehmen
Nun gibt es ein aktuelles Update aus dieser Kohorte. Die Langzeitbeobachtung über bis zu 13 Jahre zeigt, dass die günstigen Effekte über mindestens eine Dekade anhalten. "Das sehe ich als Aufforderung an alle, die diese Kakophonie von den angeblich nutzlosen Lebensstil-Interventionen nach aussen tragen", so Dr. Martin.
Er hält die Absage an die Lebensstilmassnahmen nur für eine verhängnisvolle Fehlinterpretation von Daten. Wenn man intensiv interveniert, erzielt man Effekte über lange Zeit, belegen die finnischen Follow-up-Analysen. Personen, die vier oder fünf der folgenden Ziele erreichten, entwickelten keinen Diabetes:
• Gewichtsreduktion ≥ 5 %
• Fettaufnahme ≤ 30 %
• gesättigte Fette ≤ 10 %
• Ballaststoffe ≥ 15 g/1000 kcal
• moderate körperliche Aktivität > 30 min/d
Generelle Fettphobie ist völlig unsinnig
"Umso mehr Ziele die Patienten erreichen, umso geringer fällt die Inzidenz aus, besagt die neue Auswertung, das müssen wir im Hinterkopf behalten – drei Ziele zu erreichen ist schon mal gar nicht schlecht", kommentierte der Diabetologe.
Doch nun folgt die Kernfrage: Kennen wir überhaupt die richtigen Ziele? "Und da hat uns eine Studie aus dem letzten Jahr ziemlich aufgerüttelt – PREDIMED machte Schluss mit dem Low-Fat-Wahnsinn", betonte Prof. Martin. Die Fettphobie sei in viele Köpfe eingebrannt, auch bei Ärzten, davon müsse man sich nun endgültig verabschieden.
Die dreiarmige Studie zur Primärprävention kardiovaskulärer Erkrankungen schloss 7447 Personen zwischen 55 und 80 Jahren ein. Als Inklusionskriterium galten ein Typ-2-Diabetes oder alternativ drei der folgenden Risikofaktoren: Rauchen, Hypertonie, Dyslipidämie, Familienanamnese für ein frühes vaskuläres Ereignis, BMI ≥ 25 kg/m2.
Nüsse und Olivenöl schützen vorm Infarkt
Randomisiert wurden drei Gruppen gebildet. Die Kontrollgruppe erhielt ausführliche Beratung in puncto fettarme Ernährung, "wie wir es in den letzten Jahren empfohlen haben". Eine weitere Gruppe sollte 30 g Nüsse pro Tag verzehren und die dritte Gruppe schliesslich einen Liter Olivenöl pro Woche konsumieren – eine Kalorienreduktion war nicht vorgeschrieben. Die Studie musste nach knapp fünf Jahren abgebrochen werden. Herzinfarkt, Schlaganfall und Herz-Kreislauf-Tod traten unter Nüssen und Olivenöl signifikant seltener auf.
"Wer jetzt noch behauptet, fettarm ist gesund, verhält sich unethisch", unterstrich Prof. Martin. Für beide fettreichen Diäten wurden zudem keine Komplikationen berichtet. Eine jüngst (2014) publizierte Arbeit1 zum Thema "Mittelmeerdiät in der Diabetes-Prävention" kam zu dem Ergebnis, dass die tägliche Ernährung mindestens 30 % Fett enthalten solle. Dabei erwies sich Olivenöl gegenüber Nüssen als effektiver. "Ich empfehle meinen Patienten, Olivenöl und Nüsse zu verzehren", lautet Prof. Martins Konsequenz. Die Prognose werde dadurch selbst bei Personen mit hohem Diabetesrisiko gebessert.
Eine Meldung aus der "New York Times" vom 17. März zitiert schliesslich eine Metaanalyse, nach der es prognostisch keinen Unterschied macht, ob man gesättigte und ungesättigte Fette wählt. Herausgefallen sind dabei allerdings Transfette aus industriell gefertigter Nahrung, gab Prof. Martin zu bedenken. Vieles in Sachen Ernährung in den letzten Jahren könne man unter Pleiten, Pech und Pannen abheften.
Ist die DGE auf alten und falschen Pfaden unterwegs?
Und was empfiehlt DGE aktuell? Wenig Fett, viel Obst und Gemüse und möglichst viele Kohlenhydrate. "Wenn wir das für unsere Diabetiker betrachten – und für viele Patienten hat Ernährung etwas von Religion –, kann man der Deutschen Gesellschaft für Ernährung nur raten, sich die katholische Kirche zum Vorbild zu nehmen und den einen oder anderen Papst rechtzeitig in die Rente zu entlassen", scherzte der Referent.
1 Salas-Salvado et al., Ann Intern Med 2014; 160: 1–10
8. Diabetes-Update-Seminar, Mainz, 2014