Medical Tribune
12. Juli 2023Therapie erfordert Expertise

Haarausfall bei PCOS entgegenwirken

Viele Frauen mit polyzystischem Ovarsyndrom (PCOS) haben dermatologische Probleme. Insbesondere ein Haarausfall am Oberkopf kann die Patientinnen psychisch stark belasten. Lässt sich der Haarverlust medikamentös aufhalten­?

Mikroskopische Aufnahme eines histologischen Schnitts der Ovarialzysten bei einer PCOS-Patientin zeigt.
 Science Photo Library/Gschmeissner, Steve

Der histologische Schnitt zeigt zwei Ovarialzysten bei einer PCOS-Patientin.

Charakterisiert ist das polyzystische Ovarsyndrom (PCOS) vor allem durch Hyperandrogenismus, ovulatorische Funktionsstörungen und polyzystische Ovarien. Doch die Störung kann sich initial auch mit Akne und Hirsutismus manifestieren und eine dermatologische Behandlung erfordern.

Haarausfall an Schläfen, Haaransatz und Oberkopf (female pattern hair loss, FPHL) ist ein weiteres Problem, das mehr als jede vierte PCOS-Patientin betrifft und stark beeinträchtigt. Die Behandlung dieser Frauen erfordert allerdings Expertise. Denn manche Medikamente, die normalerweise bei Alopezie eingesetzt werden und die als wirksam und sicher gelten, können PCOS-spezifische Symptome wie Hirsutismus oder Zyklusunregelmässigkeiten verschlimmern und zu einer Insulin­resistenz führen.

Auf teratogenes Potenzial der Medikamente achten

Da es sich zudem häufig um junge Frauen handelt, sollte man auf das teratogene Potenzial vieler der verordneten Medikamente achten und die Patientinnen entsprechend über mögliche Folgen aufklären. Hormonelle Kontrazeptiva sind eine wichtige Säule in der endokrinologischen Therapie des PCOS.

Sie können auch zur Therapie der dermatologischen Störungen verordnet werden – aber es kommt auf die Wahl des Präparats an. Die in vielen hormonellen Kontrazeptiva enthaltenen Gestagene weisen eine unterschiedlich ausgeprägte Androgen­aktivität auf.

Experten raten in einer aktuellen Übersichtsarbeit (1) dazu, ein kombiniertes orales Kontrazeptivum (KOK) der dritten oder vierten Generation zu verordnen (s. Kasten). Diese helfen bei vielen PCOS-Betroffenen auch gegen unerwünschten Haarwuchs (Hirsutismus) – vor allem, wenn sie mit weiteren antiandrogenen Therapeutika kombiniert werden. Zu den bei FPHL eingesetzten Androgen­antagonisten zählen Spironolacton, Bicalutamid und Flutamid.

Warum Generationen drei und vier?

Pillen der dritten Generation enthalten Desogestrel oder Gestoden. Pillen der vierten Generation beinhalten Cyproteronacetat, Chlormadinonacetat oder Drospirenon, ein Antiandrogen­derivat von 17a-Spironolacton. Beide Generationen haben eine geringere Androgenaktivität als Präparate der ersten beiden Generationen. Letztere sollten bei PCOS-Patientinnen mit Alopezie vermieden werden, da die höhere Androgen­aktivität sowohl den FPHL als auch den Hirsutismus verschlimmern kann. Ausserdem besteht bei den ersten beiden Generationen ein höheres Risiko, dass sich eine Insulin­resistenz verschlimmert oder sich die Lipidwerte verschlechtern.

Wichtig ist, die Patientinnen darauf vorzubereiten, dass sowohl die Einführung einer oralen Kombi-Pille als auch deren Absetzen zu einem telogenen Effluvium führen kann. Dieses ist aber meistens selbstlimitierend, über einen Zeitraum von drei bis sechs Monaten. Nehmen Frauen ein Viertgenerationen-Präparat mit Drospirenon oder auch Spi­ronolacton, sollten sie ausserdem auf die Kalium­zufuhr über die Nahrung achten, z.B. über Avocado, Banane etc.

Der Mineralkortikoid­antagonist Spironolacton ist ein kaliumsparendes Diuretikum. Eingesetzt wird eine Dosierung von 100–200 mg/d, oft kombiniert mit topischem Minoxidil – aber auch eine Monotherapie ist wirksam. Zwar gehört Spi­ronolacton bei FPHL nicht zu den First-Line-Medikamenten, doch wird es PCOS-Patientinnen häufig verordnet, da es gut verträglich und kostengünstig ist. Allerdings kann es den Zyklus stören und wirkt wie die anderen Androgen­antagonisten teratogen.

Bicalutamid, ein selektiver Androgenrezeptor­­antagonist, kommt bei PCOS-bedingter Alopezie in niedrigerer Dosierung (25–50 mg/d) als in der Onkologie zum Einsatz. Aufgrund des Nebenwirkungsprofils sollte er aber erst gegeben werden, wenn Pille, Minoxidil und Spironolacton versagt haben. Flutamid, ein nichtsteroidaler Androgenrezeptor­antagonist – ebenfalls aus der Onkologie – wird bisher nur off label zur Behandlung eingesetzt. Es hat zudem ein schlechteres Nebenwirkungsprofil als die anderen beiden Androgenrezeptor­antagonisten.

Topisches Minoxidil ist nicht für alle geeignet

In der allgemeinen Alopezie-Therapie hat sich topisches Minoxidil, meist in Form von fünfprozentigen Präparaten, fest etabliert. Allerdings ist die Substanz nicht für alle PCOS-Patientinnen geeignet, warnen die Experten. Vier Prozent der Frauen reagieren mit einer Gesichtshypertrichose, die gepaart mit einem möglicherweise vorbestehenden Hirsutismus die Situation für die Patientin deutlich verschlimmert. Die Nebenwirkung kann allerdings durch die gleichzeitige Gabe von Antiandrogenen in Kombination mit verschiedenen Haarentfernungsmethoden vermindert werden.

Niedrig dosiertes orales Minoxidil (0,625–5 mg/d) stellt eine Alternative zur topischen Anwendung dar. Jedoch führte es in einer Studie bei ca. 15 Prozent der Teilnehmer zu einer Hyper­trichose – deutlich mehr als bei den Topika. Generell kann es bei Minoxidil (topisch und oral) anfangs zu einem telogenen Effluvium kommen, was angesprochen werden sollte.

5-alpha-Reduktasehemmer wie Finasterid und Dutasterid wurden zwar nicht zur Behandlung des Hyper­androgenismus bei Frauen entwickelt und besitzen keine Zulassung für diese Indikation. Sie sind aber eine effektive Therapie für FPHL und Hirsutismus bei PCOS-Patientinnen. Zu beachten ist allerdings das erhebliche teratogene Risiko von 5-alpha-Reduktase­Inhibitoren, daher muss eine sichere Kontrazeption während und auch einige Zeit nach der Behandlung gewährleistet sein.