Medical Tribune
22. Juni 2023Mit Zucker, Silber und Fliegenlarven

Chronische Wunden zum Abheilen bringen

Zur lokalen Therapie chronischer Wunden steht eine Vielzahl von Ansätzen zur Verfügung. Eine interdisziplinäre Expertengruppe hat nun ein erfolgreiches Konzept zur Strukturierung der Wundbehandlung neu aufgelegt. Sie wirft auch einen Blick in die Zukunft – mit smarten Wundauflagen und telemedizinischer Betreuung.

Kleine chronische Wunde
NOVATEK CAMERA/wikimedia commons

Die Versorgung chronischer Wunden erfordert interdisziplinäre Expertise. Es gilt zunächst, die jeweils relevante Grunderkrankung des Patienten ­(systemisch) zu behandeln. Um die Heilung optimal zu fördern, ist gleichzeitig eine adäquate lokale Wundtherapie unabdingbar.

Empfehlungen der Expertengruppe WundDACH: M.O.I.S.T

Eine Expertengruppe des Dachverbands WundDACH, der Organisationen aus allen deutschsprachigen Ländern vereint, entwickelte das Konzept M.O.I.S.T., um die zur Verfügung stehenden Wundprodukte zu strukturieren und Ärzte, Pflegepersonal und Betroffene bei der Wundtherapie zu unterstützen. Es kann auch als Anleitung zur Ausbildung dienen.

Ein Update zu diesem Konzept veröffentlichten nun deutsche Dermatologen (1).

Das M.O.I.S.T.-Konzept setzt sich aus den folgenden Komponenten zusammen:

  • Moisture balance (Exsudat­­management)
  • Oxygenation (Sauerstoff­­balance)
  • Infection control (Infektions­kontrolle)
  • Support (Unterstützung der Heilung)
  • Tissue management (Gewebe­management)

Demnach umfasst das Konzept zunächst die «feuchte» Wundtherapie. Dabei darf die Wunde weder zu trocken noch zu feucht sein, betonen die Autoren. Erreichen lässt sich dies mit Hydrogelen oder verschiedenen, Exsudat aufnehmenden Wundauflagen.

Chronische Wunde braucht reichlich Sauerstoff

Der Stoffwechsel im Wundheilungsprozess benötigt mehr Sauerstoff als bei unverletzter Haut. Während kurz nach einer Verletzung eine vorübergehende ­Hypoxie physio­logisch ist, bremst eine anhaltende Hypoxie die Heilung. Ursachen für das verminderte Sauer­stoffangebot sind z.B. eine Minderdurchblutung oder eine venöse Insuffizienz. In diesen Fällen können eine Kompressionstherapie oder eine hyperbare Sauerstofftherapie nützen, wobei jedoch beide Verfahren kein direkter Bestandteil von M.O.I.S.T. sind. Für die lokale Verbesserung des Sauerstoffangebots eignet sich ein Hämoglobin-Spray.

Zur Infektionskontrolle kommen verschiedene antimikrobielle Sub­stanzen in Betracht, mit denen spätestens nach 10–14 Tagen begonnen werden sollte. Je nach vermutetem Erreger können verschiedene Antiseptika, wie Polyhexanid oder Octenidin, bzw. verschiedene Substanzen auf Silber-Basis eingesetzt werden. Der Heilungsprozess lässt sich zudem aktiv durch die Beeinflussung des Wundmilieus unterstützen. Hierbei spielen Matrixmetalloproteinasen eine wichtige Rolle, die man mit verschiedenen Produkten fördern kann.

Beta-Glucan aktiviert Makrophagen

Auch Wachstumsfaktoren wirken sich positiv aus; sie lassen sich aus dem Blut des Patienten selbst ­extrahieren. Das hochmolekulare ­D-Glukose-Polysaccharid Beta-Glucan aktiviert Makrophagen und fördert damit ebenfalls die Wundheilung. Für weitere Ansätze fehlen aussagekräftige Studien; sie kommen daher bislang eher bei therapierefraktären Wunden zum Einsatz.

Zum Gewebemanagement gehören alle Massnahmen, die auf die Konditionierung des Wundgrundes abzielen, vor allem verschiedene Formen des Débridements und die Wundspülung. Im Rahmen der Bio­chirurgie werden dazu auch steril gezüchtete Fliegenlarven verwendet. Physikalische Verfahren umfassen z.B. Vakuumtherapie, Elektrostimulation, Hyperthermie oder Laserbehandlung.

Um die lokale Wundbehandlung noch individueller anpassen zu können, werden aktuell «smarte» Wundauflagen entwickelt, die kontinuierlich bestimmte Parameter des Gewebes erfassen. Ein nächster Schritt könnten Produkte sein, die nach externer Steuerung Substanzen gezielt freisetzen. Zukünftig liessen sich solche Verfahren in eine telemedizinische Betreuung einbinden.