Medical Tribune
19. Aug. 2021Viele Ärzte sind sehr testfreudig

Präoperative Routineuntersuchungen müssen oft nicht sein

Präoperative Routineuntersuchungen ohne spezielle Indikation sind heutzutage in der Regel obsolet. Sie bringen den Patienten keinen Vorteil, doch werden sie weiterhin angeordnet.

Nahaufnahme einer Krankenschwester, die den männlichen Arm vor dem Bluttest desinfiziert. Mann sitzt auf einem Stuhl in der Nähe des medizinischen Sets
iStock/YakobchukOlena

Fast automatisch fordern Mediziner auch vor kleineren Operationen jede Menge Routineuntersuchungen an. Eigentlich ist schon länger bekannt, dass ohne spezielle Indikation die meisten dieser Tests überflüssig sind, Geld kosten und zum Teil schaden können. Das Team um den Chirurgen Dr. Nicholas Berlin von der University of Michigan in Ann Arbor hat diesbezüglich Daten aus dem gesamten Bundesstaat genauer unter die Lupe genommen.1

Ursache des Problems muss wohl noch gefunden werden

Für drei häufig ambulant durchgeführte Eingriffe – Lumpektomie, laparoskopische Cholezystektomie und endoskopische Leistenhernien-Reparatur – prüften sie über einen Zeitraum von 4,5 Jahren, wie oft Routinetests erfolgt waren. Und da kam bei den über 40 000 Patienten ganz schön was zusammen: Mehr als die Hälfte von ihnen wurde in den 30 Tagen vor dem Eingriff mit mindestens einem Test bedacht, ein knappes Drittel mit zwei oder mehr Tests, und fast jeder Achte durfte mindestens dreimal ran. Spitzenreiter bei den Untersuchungen waren grosses Blutbild, EKG und Standard-Blutchemie.

Die Auswertung ergab ausserdem, dass ältere Patienten mit Begleiterkrankungen präoperativ häufiger getestet wurden, ebenso solche, bei denen Anamnese und körperliche Untersuchung separat erfolgt waren. Klinikspezifische Unterschiede waren für ca. 12 % der Varianz bei den Ergebnissen verantwortlich.

Auch wenn ausführliche Untersuchungen vor einer kleinen OP berechtigt waren, als Chirurgie und Anästhesie noch in ihren Kinderschuhen steckten, sind diese Zeiten mittlerweile vorbei, wird Professor Dr. Lesly Dossett, eine Koautorin, in der begleitenden Pressemitteilung zitiert.2 Und mit dieser Meinung ist sie nicht allein: In seltener Einigkeit stellten die US-amerikanischen Fachgesellschaften für Chirurgie, Anästhesie und Innere Medizin das schon vor fast zehn Jahren fest. Passiert zu sein scheint allerdings bisher wenig.

Die starke Variabilität innerhalb, aber auch zwischen den Kliniken zeigt, dass die Ursache des Problems wohl noch gefunden werden muss, um besser gegensteuern zu können, so Dr. Berlin. Gleichzeitig bestünde dadurch auch die Möglichkeit, voneinander zu lernen.

  1. Berlin NL et al. JAMA Intern Med 2021; doi: 10.1001/jamainternmed.2021.1653
  2. Pressemitteilung University of Michigan