Medical Tribune
2. Sept. 2024Das Wechselhafte gezielt suchen

Bipolare Störung: Symptome, Behandlung, Prognose

Bipolare Störungen werden oft fehlgedeutet und erst viele Jahre nach Krankheitsbeginn diagnostiziert. Dies hat negative Folgen – nicht nur gesundheitlich. Denn manische Phasen können die Betroffenen wirtschaftlich und sozial sehr schnell an den Abgrund bringen. Ein Experte berichtet, welche Symptome auf Bipolarität hindeuten können und worauf in der Therapie speziell zu achten ist.

Symptome einer bipolaren Störung müssen Ärzte oft regelrecht suchen.
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Bipolare Störungen beginnen meistens im Alter zwischen 15 und 24 Jahren. Die Lebenszeitprävalenz für das bipolare Spektrum beträgt 3,7 bis elf Prozent.

Eine grosse Rolle spielen genetische Ursachen. «Auslöser der Krankheit sind aber oft soziale und psychologische Faktoren», erläutert Dr. Philipp Eich, ehemaliger Chefarzt der Psychiatrischen Klinik in Liestal und nun niedergelassener Psychiater in Basel am Kongress des Kollegiums für Hausarztmedizin (KHM).

Typisch für die bipolare Störung: Depressive und manische Symptome im Wechsel

Typisch für die Krankheit ist das Vorkommen von depressiven und manischen Episoden. Bei der Manie sind drei Schweregradstufen – Hypomanie, klassische Manie und psychotische Manie – zu unterscheiden. Das Spektrum ist breit.

Voneinander abzugrenzen sind die Zustände

  • normale Stimmungsvarianz,
  • Zyklothymie sowie
  • Bipolar I und II.

«Bipolar I stellt das klassische depressiv-manische Kranksein dar, Bipolar II eine Spezialform mit hypomanischen Zuständen und ähnlichen depressiven Phasen wie bei Bipolar I», erklärt Dr. Eich.

Bipolar-II-Störungen betreffen mehr Frauen als Männer. Bipolar I kommt bei beiden Geschlechtern gleich oft vor.

Im Allgemeinen sind die depressiven Episoden bei bipolaren Störungen deutlich häufiger als die manischen. Eine Langzeitstudie mit 146 Patienten zeigte, dass diese 53 Prozent der Beobachtungszeit von 12,8 Jahren in einem stabilen gesunden Zustand verbracht haben. 32 Prozent der Untersuchungszeit wurden in depressiven Zuständen und etwa 15 Prozent in manischen Phasen oder in gemischten manisch-depressiven Episoden zugebracht (1).

Hohes Rezidivrisiko

Das Risiko für einen Rückfall ist hoch, ebenso die Wahrscheinlichkeit für eine Wiedererkrankung innerhalb von sechs Monaten und für einen Suizid. Residualzustände (z.B. affektive oder kognitive Störungen) und psychotische Symptome sind Risikofaktoren für einen Rückfall.

«Die psychosozialen Folgen einer manischen Episode sind oft gravierend», sagt Dr. Eich. Eine Manie kann selbst gut integrierte, erfolgreiche und gut situierte Persönlichkeiten rasch existenziell und sozial an den Abgrund bringen (Jobverlust, Trennung/Scheidung u.v.a.m.). Manische Patienten sind in der Regel schwierig im Umgang, sie haben ein übersteigertes Selbstwertgefühl, sind oft gereizt und können rasch aggressiv werden. «Insgesamt sind sie jedoch häufiger dys- als euphorisch», so der Experte.

Screening-Fragen helfen bei der Diagnose

Für die Diagnose müssen Ärzte das Wechselhafte und die (hypo)manischen Symptome gezielt suchen. In der Praxis bewährt haben sich beispielsweise folgende Screening-Fragen:

  • Gibt es Zeiten, in denen Sie sich ohne besonderen Grund sehr viel besser fühlen, mehr unternehmen, mehr sprechen, mehr leisten und deutlich weniger schlafbedürftig sind?
  • Sind Sie in dieser Phase schon in Schwierigkeiten geraten, dachten Sie oder andere, etwas sei mit ihnen nicht in Ordnung?

Die Diagnose einer Bipolaren Störung erfolgt leider meist erst fünf bis zehn Jahre nach Krankheitsbeginn, denn Symptome werden oft fehlgedeutet, zum Beispiel als Adoleszentenkrise, reine Depression oder Schizophrenie.

Psychische und physische Komorbiditäten sind häufig. «Um sie zu erkennen und zu behandeln, sind die Allgemeinpraktiker besonders gefordert», betont Dr. Eich. Die Betroffenen haben etwa ein erhöhtes Risiko für

  • Angststörungen,
  • ADHS,
  • Sucht sowie für
  • kardiovaskuläre Erkrankungen,
  • Diabetes mellitus und
  • Adipositas.

Ausserdem reagieren sie oft empfindlicher (mit Nebenwirkungen) auf Antipsychotika. Warum, ist unklar.

Lithium ist Goldstandard für die Therapie der Manie

Für die Behandlung gibt es Schweizer Empfehlungen (2). Die Therapie besteht wie bei der Depression aus den drei Phasen Akutbehandlung, Fortsetzungstherapie und Rezidivprophylaxe. Bei der Manie steht die medikamentöse Behandlung zuerst im Vordergrund, bei der bipolaren Depression empfiehlt sich von Beginn weg zusätzlich Psychotherapie.

«Behandelt werden beide Pole. Wenn also akut therapiert wird, muss man auch bereits die Langzeitbehandlung im Hinterkopf haben», betont Dr. Eich. Denn zum Einsatz kommen sollten vorzugsweise Medikamente, die nach der Akutbehandlung weitergeführt werden könnten. «Monotherapien sind sinnvoll, Kombinationen vor allem mit Standard-Antidepressiva werden empfohlen», erklärte Dr. Eich.

Lithium ist der Goldstandard für die akute Manie und für die Langzeitbehandlung. Atypische Antipsychotika (v.a. Quetiapin) sind für die Manie, die bipolare Depression sowie für die Langzeitbehandlung die Mittel der ersten Wahl. Eine weitere Option sind Antikonvulsiva. Auch sie wirken wie die Antipsychotika auf den manischen und den depressiven Pol. «Valproat hat eine gute akut-antimanische Wirkung, Lamotrigin vor allem Depressions-verhütende Effekte», erläutert Dr. Eich.

Wie sich Rezidive verhindern lassen

Für die Rezidivprophylaxe sind die Kombinationen Lithium und atypische Antipsychotika wie Aripiprazol, Lurasidon, Risperidon oder Lamotrigin sowie Depotinjektionen mit Risperidon/Paliperidon und Aripiprazol empfohlen.

«Das Verhindern von Rezidiven ist entscheidend für die berufliche und persönliche Langzeitperspektive», betont Dr. Eich.

Eine wichtige Rolle in der Therapie spielt der biopsychosoziale Behandlungsansatz. Er beinhaltet ein umfassendes Massnahmenpaket aus Pharmako- und Psychotherapie sowie Allgemeinmassnahmen.

Dazu zählen u.a.

  • Psychoedukation,
  • Betreuung,
  • Lifestyle-Coaching,
  • Angehörigenberatung sowie der
  • Verzicht auf antriebssteigernde Drogen und ggf. auch Stimulanzien.

Zentral ist der dringende Appell an die Patienten, die verschriebenen Medikamente nicht von sich aus abzusetzen, sondern sich mit den Behandlern zu besprechen. «In der Praxis sehr hilfreich ist meist die Arbeit mit Stimmungstagebüchern», gab Dr. Eich zum Schluss noch als Tipp mit.