Medical Tribune
5. Juli 2024Experten fordern jodiertes Salz in Pflanzenmilch, Brot und Fertiggerichten

Wieder mehr Jodmangel in Europa

Ein neuer Bericht der WHO zeigt auf, dass in Europa wieder mehr Menschen einen – zumindest leichten – Jodmangel aufweisen. Zurückzuführen ist das unter anderem wohl auf den steigenden Anteil an Fertiggerichten und pflanzlichen Milchalternativen in der Ernährung.

Chronisch kann ein Jodmangel zu einer Vergrösserung der Schilddrüse (Struma) führen.
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Grosse Teile Europas gelten als Jodmangelgebiet. Noch vor rund hundert Jahren litt ein grosser Teil der europäischen Bevölkerung an Jodmangel. Das äusserte sich unter anderem durch Kropfbildung und die angeborene Jodmangelerkrankung.

Seit der Jodierung von Tafelsalz seit den 1920er Jahren sind diese Erkrankungen zwar fast vollständig aus unserem Blick verschwunden. Ein aktueller WHO-Bericht zeigt jedoch, dass viele Europäer, darunter auch in der Schweiz und Deutschland, mittlerweile wieder zumindest leichten Jodmangel aufweisen. Das kann – vor allem bei Kindern und Ungeborenen, aber auch bei Erwachsenen – die Gesundheit beeinträchtigen.

«Auffassung hat sich durchgesetzt, dass Jodmangel kein Problem mehr ist»

In den meisten Teilen Europas ist der Boden arm an dem für die menschliche Existenz essenziellen Spurenelement Jod. Das betrifft besonders Bergregionen, wo Gletscherbildung und starke Regenfälle die Jodreserven des Bodens ausgeschwemmt haben. Dazu gehören etwa die Schweiz, Österreich und Deutschland.

Als Folge der Jodierung des Tafelsalzes gingen früher weit verbreitete Jodmangelerkrankungen stark zurück. Dazu gehören etwa die endemische Struma (Schilddrüsenvergrösserung / Kropf), die klinische Hypothyreose und die schwere angeborene Hypothyreose (früher Kretinismus), die mit irreversiblen Einschränkungen wie schwerer Intelligenzminderung und Kleinwuchs einhergeht.

Dadurch, dass die schwerwiegenden Folgen der Jodmangelernährung heute in Europa selten geworden und damit nicht mehr sichtbar sind, scheint sich jedoch die Auffassung durchgesetzt haben, dass Jodmangel kein Problem mehr ist, warnt der aktuelle WHO-Bericht. Darin empfehlen die Experten, die Wichtigkeit von Jod in der Nahrung nicht zu vergessen und diese an die mittlerweile stark veränderten Ernährungsgewohnheiten der europäischen Bevölkerung anzupassen.

Jodiertes Salz ist die Hauptquelle von Jod in Europa

Die Schweiz war das erste Land weltweit, das die Jodierung von Salz einführte – im Jahr 1922. Mittlerweile haben die meisten europäischen Länder entweder verpflichtende, für bestimmte Produkte verpflichtende oder freiwillige Bestrebungen für die Jodsupplementierung von Tafelsalz.

Das jodierte Salz ist dabei seit Jahrzehnten die Hauptquelle für Jod. In der Schweiz deckt das jodierte Salz aus der heimischen Küche und verarbeiteten Lebensmitteln durchschnittlich 61 Prozent des Jodbedarfs. Dahinter folgen, mit 26 Prozent, Milchprodukte.

Jod aus Milch ist dabei in den Gegenden, in denen Salz flächendeckend jodiert ist, oft vor allem für die Versorgung von Kindern relevant, so die Autoren des WHO-Berichts. Es wird vermutet, dass es mit steigendem Alter auch deswegen zu mehr Jodmangel kommt, da der Konsum von Milchprodukten üblicherweise während der Adoleszenz sinkt.

Wie viel Jod in der Milch enthalten ist, variiert von Land zu Land. Während etwa die Milch in Österreich mit rund 400 µg/kg vergleichsweise viel Jod enthält, ist sie in Deutschland und der Schweiz mit rund 100 µg/kg relativ Jod-arm. Der Jodgehalt in der Milch ist dabei auch von der Jahreszeit (im Winter enthält sie mehr Jod), und von der Art der Landwirtschaft (biologisch hergestellte Milch enthält weniger Jod) abhängig. Das liegt daran, dass Jod aus Silofutter, das in Europa vor allem im Winter und in konventioneller Landwirtschaft verfüttert wird, vom Tier besser aufgenommen werden kann als aus Weidegras.

Jodmangel in Europa

Zur Deckung des Jodbedarfs werden altersabhängige Jodzufuhren empfohlen. Aktuell handelt es sich um

  • 40 bis 80 µg pro Tag bei Säuglingen,
  • 100 bis 200 µg/Tag bei Kindern unter 15 Jahren,
  • 180 bis 200 µg/Tag bei Jugendlichen und Erwachsenen, und
  • 230 bis 260 µg/Tag bei Schwangeren und Stillenden

Einige Länder untersuchen, etwa über die Jodausscheidung im Urin, regelmässig den Jodstatus ihrer Bevölkerung. Aufgrund der verfügbaren Daten schätzt man, dass viele Menschen in Europa zu wenig Jod zu sich nehmen.

In der Schweiz wird der Jodstatus in der Bevölkerung seit 1999 alle fünf Jahre erfasst. Derzeit ist die Jodzufuhr etwa bei Kindern am eher unteren Ende des angemessenen Bereichs. Bei Schwangeren hat die Jodversorgung ausserdem seit 1999 deutlich abgenommen – aktuell gibt es eine Tendenz zur Unterversorgung.

Zudem schätzt man, dass rund 14 Prozent der Frauen und rund zwei Prozent der Männer zu wenig Jod zu sich nehmen. In Deutschland gelten sogar 33 Prozent der Erwachsenen als unterversorgt.

Vor allem Frauen essen weniger Milchprodukte

Dass die Jodversorgung der Bevölkerung sich derzeit zu verschlechtern scheint, führt der WHO-Bericht unter anderem auf den mittlerweile hohen Anteil von ausserhalb des Hauses hergestellten oder gekochte Lebensmittel in der Ernährung zurück. Dazu zählen etwa Brot, Fleisch- und Wurstwaren, sowie Fertiggerichte.

Diese verarbeiteten Lebensmittel enthalten nur selten jodiertes Salz; in Deutschland etwa nur neun Prozent. In der Schweiz, wo die Jodierung genau wie in Deutschland für Hersteller freiwillig ist, enthielten in Untersuchungen 34 Prozent der Fertigprodukte jodiertes Salz. Im WHO-Bericht sprechen sich die Experten daher für eine verpflichtende Anreicherung der Fertigprodukte des täglichen Lebens mit Jod aus. Als ideal würden sie etwa eine verpflichtende Versetzung von Brot mit jodiertem Salz sehen.

Aber auch, dass vor allem Frauen zunehmen auf pflanzliche Milchalternativen umsteigen, sieht der Bericht aus der Perspektive der Jodversorgung kritisch. Pflanzliche Nahrungsmittel sind allgemein eine schlechte Jodquelle. Nachdem nun immer mehr Menschen auf eine vegetarische oder vegane Ernährungsweise umsteigen, sehen die Autoren auch eine Anreicherung von Pflanzenmilch sinnvoll.

Wie passen eine angemessene Jodversorgung und das Ziel der Salzreduktion zusammen?

In Europa nehmen Kinder und Erwachsene heute tendenziell mehr Salz zu sich als die empfohlenen fünf Gramm pro Tag. Das erhöht das Risiko für nichtübertragbare Erkrankungen, etwa des Herz-Kreislauf-Systems. Bis zum Jahr 2025 soll der Salzkonsum in der Bevölkerung laut WHO-Plänen daherum rund 30 Prozent sinken.

In Hinblick auf Tafelsalz als Jodquelle betont der aktuelle Gesundheitsbericht nun, dass Strategien zur Salzreduktion Teil eines breiteren Massnahmenpaketes der öffentlichen Gesundheit sein müssen. «Das Ziel wäre es, die Botschaft zu überbringen: ‹wenig salzen, aber wenn, dann mit jodiertem Salz›»

Jod gewährleistet die Funktion der Schilddrüsenhormone

Jod ist ein essenzielles Spurenelement, das über die Nahrung aufgenommen werden muss.

Es wird im Körper benötigt, um die Schilddrüsenhormone Thyroxin (T4) und Triiodthyronin (T3) zu bilden. Diese regulieren den Zellmetabolismus in fast allen Geweben in jeder menschlichen Entwicklungsphase.

T4 wird dabei in den peripheren Geweben durch die Deionidase-Enzyme in seine metabolisch aktive Form T3 umgesetzt. Das T3 bindet dann an die im Zellkern befindlichen Schilddrüsenhormonrezeptoren. Im Anschluss regulieren sie die Expression einer Vielzahl von Genen, die wichtige physiologische Prozesse beeinflussen. Dazu gehören unter anderem Gene, die die Funktion von

  • Metabolismus,
  • Entwicklung und Reifung des Gehirns,
  • Muskeln und Skelett, und der
  • Lungen

gewährleisten

Die Folgen von Jodmangel

Kommt es zu einem kurzfristigen Jodmangel, passiert im Körper vorerst nichts. Durch ein ausgeklügeltes System kann er sich auf den Mangel einstellen, indem er zum einen die Jodaufnahme aus der Nahrung erhöht, und zum anderen auf Jodvorräte in den Schilddrüsenepithelzellen (Thyreozyten) zurückgreift.

Besteht der Jodmangel allerdings über längere Zeit (chronischen Jodmangel), steigt als erstes das Schilddrüsen-stimulierende Hormon TSH an (subklinische Hypothyreose). Bei einem schweren und anhaltenden Jodmangel sinken zusätzlich T4 und schlussendlich auch T3 ab (klinische Hypothyreose).

Dabei führt bereits der leichten Jodmangel manchmal zu Problemen. So kann es infolge des Jodmangels zu einer chronischen Überstimulierung der Schilddrüse kommen, die zur Strumabildung führen kann. Besonders Kinder bei einem leichten Jodmangel anfällig für eine Schilddrüsenvergrösserung.

Vor allem bei Erwachsenen und älteren Menschen begünstigt ein chronischer (auch leichter) Jodmangel die Entkopplung der Schilddrüsenhormonbildung vom thyreotropen Regelkreis. Dabei entstehen in der Schilddrüse durch die Dauerstimulation autonome Adenomen (Schilddrüsenautonomie), die eine Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion) begünstigen.

Unbehandelt kann die Hyperthyreose zu Herzrhythmusstörungen führen, und das Risiko für eine Herzinsuffizienz, sowie für kognitive Beeinträchtigungen, Osteoporose und Sarkopenie bei älteren Menschen erhöhen.

Jodbedarf in Schwangerschaft, Stillzeit und Kindesalter

In der Schwangerschaft und der Stillzeit erhöht sich der Jodbedarf von von 180 bis 200 µg/Tag auf 230 bis 260 µg/Tag. Eine angemessene Jodzufuhr ist vor und in der Schwangerschaft besonders wichtig, da sich eine unbehandelte (auch subklinische) Hypothyreose negativ auf die Fruchtbarkeit auswirkt, und das Risiko für Schwangerschaftskomplikationen wie intrauterine Wachstumsretardierung und Präeklampsie erhöhen kann.

Ausserdem steht eine unzureichende Jodzufuhr in der Schwangerschaft und in der frühen Kindheit im Verdacht, sich negativ auf die Gehirnentwicklung auszuwirken. So war in einzelnen Kohortenstudien eine suboptimale mütterliche Jodversorgung vor allem in der Frühschwangerschaft teils mit einer Verzögerung der Sprachentwicklung der Kinder, sowie mit Verhaltensproblemen und reduzierten feinmotorischen Fertigkeiten bei Kleinkindern und Schulkindern verbunden.

Eine angemessene Jodversorgung bei Kindern mit 100 bis 200 µg/Tag war zudem in Studien mit einem höheren Wert beim Intelligenzquotienten (IQ) in der Schulzeit verbunden.