Was bringen Probiotika und Präbiotika?
Allergie, Adipositas und Depressionen haben etwas gemeinsam: Probiotika sollen helfen, sie zu verhindern oder zu lindern. Oft steckt hinter diesen weit verbreiteten Behauptungen aber nur begrenzte klinische Evidenz. Zudem lässt sich das Mikrobiom noch mit anderen Mitteln unterstützen als mit Kapseln und Joghurt-Drinks.
Über die gesamte Evolution unserer Spezies haben wir gelernt, mit Mikroorganismen zu leben: Billionen von ihnen besiedeln gesunde Menschen, vor allem im Darm und auf der Haut. Aber auch alle anderen Kontaktflächen mit der Aussenwelt, wie die Vagina und die Lunge, sind die Heimat zahlloser Kleinstlebewesen.
Was tut die Mikroflora?
Vermehren sich einzelne dieser Keime unkontrolliert, kann dies zu Krankheiten führen. Die meiste Zeit schaden uns unsere mikrobiellen Begleiter aber nicht – und manche nützen uns sogar.
Mikrobiom, Probiotika, Präbiotika: Was ist das?
Bakterien, Pilze, Hefen und Bakteriophagen machen gemeinsam die Mikrobiota eines Menschen aus. Ein weiterer Begriff, der damit zusammenhängt, ist das Mikrobiom, das die Summe der genetischen Anteile der Mikrobiota bezeichnet. Die meisten der mit uns zusammenlebenden «kommensalen» Mikroorganismen sind Bakterien.
Unter Probiotika werden lebende Mikroorganismen bezeichnet*, die in adäquater Menge aufgenommen einen positiven Effekt auf die Gesundheit des Individuums haben. Präbiotika sind Stoffe, die zur Förderung von Mikroorganismen eingesetzt werden, die als nützlich für die Gesundheit erachtet werden. Synbiotika sind eine Kombination aus Pro- und Präbiotika.
* Hill C et al. The International Scientific Association for Probiotics and Prebiotics consensus statement on the scope and appropriate use of the term probiotic. Nat Rev Gastroenterol Hepatol. 2014 Aug;11(8):506-14. doi: 10.1038/nrgastro.2014.66.
So produzieren etwa Lactobazillen im Darm, in der Vagina und auf der Haut kurzkettige Fettsäuren (z.B. Propionat, Butyrat, Acetat), die den pH-Wert dieser Milieus senken, und damit Pathogenen die Überlebensgrundlage entziehen. Im Darm verbessert ein niedriger pH-Wert zudem die Absorption von Mineralstoffen, indem er deren Löslichkeit erhöht.
Darüber hinaus verhalten sich kommensale Keimen kompetitiv gegenüber Krankheitserregern – und verhindern so, dass diese den normalen Mikroorganismenbestand überwuchern.
Darmbakterien verbessern Zuckerstoffwechsel und Sättigung
Im Darm machen sich die Mikroorganismen unverdauliche Nahrungsfasern (Ballaststoffe) in der Nahrung zunutze, die sie verstoffwechseln (fermentieren). Bei der Fermentation bilden die Mikroorganismen Stoffwechselprodukte (z.B. Fett- und Karbonsäuren), die positive Effekte für die Darmgesundheit haben (1).
Diese dienen den Enterozyten (Darmepithelzellen) einerseits als Nahrung, andererseits greifen sie in endokrine und immunologische Prozesse des Darms ein.
So kann die Karbonsäure Succinat, die bei der bakteriellen Fermentation gebildet wird, von den Enterozyten zu Glukose verstoffwechselt werden, was den Zuckerstoffwechsel positiv beeinflusst (2). Propionat und Butyrat veranlassen enteroendokrine Zellen ausserdem dazu, Signalmoleküle wie Leptin und Ghrelin zu bilden, die das Sättigungsgefühl unterstützen (3).
Mikrobiota-Darm-Hirn-Achse nicht unwahrscheinlich
Die kleinen Mediatoren können zudem nicht nur im Darm, sondern auch im restlichen Körper unterschiedliche Funktionen ausüben. Butyrat stimuliert etwa die Serotoninfreisetzung im Darm und den Vagusnerv, der neuronale Signale zwischen Darm und Hirn weiterleitet. Eine Verbindung zwischen dem Mikrobiom und der Hirngesundheit ist daher nicht unwahrscheinlich – man spricht mittlerweile von einer Mikrobiota-Darm-Hirn-Achse (4).
Das von Darmbakterien produzierte Butyrat wirkt darüber hinaus antientzündlich und kann möglicherweise allergische Reaktionen abmildern.
Schlechte Ernährung bringt das Darm-Mikrobiom aus dem Gleichgewicht
Die Besiedelung mit kommensalen Keimen beginnt rund um die Geburt, und gilt im Alter von drei bis fünf Jahren als abgeschlossen. Äussere Einflüsse sind aber lebenslang in der Lage, das Mikroorganismenkollektiv eines Menschen zu verändern. So bringen etwa die Einnahme von Antibiotika, ein chirurgischer Eingriff, oder Medikamente die mikrobielle Diversität zumindest kurzfristig durcheinander.
Wesentlich dramatischere Verschlechterungen der körpereigenen Mikroflora geschehen jedoch durch chronische Einflüsse, die die Zusammensetzung der Kommensalkeime kontinuierlich verarmen lassen. Dazu gehört unter anderem der Alterungsprozess. Aber auch ein ungünstiger Lebensstil und schlechte Ernährung wirken sich negativ auf die Darmflora aus.
Welche Rolle die Ernährung spielt
Die im Körper lebenden Mikroorganismen benötigen die richtigen Nährstoffe, um weiterbestehen und ihre normalen Funktionen erfüllen zu können. Die in der westlichen Welt typische Ernährung ist dabei sehr ungünstig für die Darmflora. Sie enthält nur wenige Substrate, die den Dickdarm erreichen und von der Mikroflora verwertet werden können.
Vor allem Nahrungsfasern wie unverdauliche Polysaccharide und resistente Stärken nehmen wir vermutlich viel zu wenig zu uns. Hat der Mensch in der Steinzeit noch 100 Gramm Ballaststoffe täglich mit der Nahrung aufgenommen, sind es beim typischen Europäer heute nur mehr 20 Gramm (5). Das hungert bestimmte Mikroorganismen im Wesentlichen aus. Um zu überleben, wenden sie sich alternativen Wegen zu, um zu überleben – oft zum Nachteil für den menschlichen Wirt (6).
Das Mikrobiom beeinflussen – hat das Sinn?
Die meisten Experten gehen heute davon aus, dass sich eine möglichst grosse mikrobielle Diversität positiv auf die Gesundheit auswirkt. So lassen sich allgemeine Merkmale für Gesundheit (z.B. niedriger BMI, normale Verdauung, niedriger Blutzucker) mit einer grösseren Vielfalt an Darm-Kommensalen in Verbindung bringen (7).
Umgekehrt gibt es zahlreiche Studien, die zeigen, dass sich die genetischen Signaturen der Flora von Menschen, die an Krankheiten leiden, von denen von Gesunden unterscheiden, wie etwa bei
- entzündlichen Darmerkrankungen
- Reizdarm
- Diabetes (Typ 1 und 2)
- Adipositas
- kardiovaskulären Erkrankungen
- chronischer Nierenkrankheit
- Allergien
Die Annahme, dass diese Krankheiten sich durch eine Veränderung der Mikrobiota vermeiden oder verbessern lassen, wird bislang hauptsächlich durch Experimente in Nagetieren unterstützt (8).
Randomisierte Ernährungsstudien oder Untersuchungen, die gezielt Probiotika beim Menschen einsetzen, sind bislang hingegen eher selten. Einige zeigen dabei, dass Diäten oder die Einnahme von Probiotika zumindest kurzfristig zu Veränderungen des Darmmikrobioms führen. In einigen Studien hatte die Darmmikrobiom-Veränderung gesundheitliche Vorteile wie das Sinken des Blutdrucks und Verbesserungen bei den Blutfettwerten (z.B. 9). In anderen blieben Effekte hingegen aus (10).
Was sagen Medizingesellschaften?
Bisher sind grosse medizinische Gesellschaften noch eher zurückhaltend mit Empfehlungen für Diäten oder Probiotika zur Unterstützung des Mikrobioms.
Bei Darmerkrankungen, bei denen die Rolle des Mikrobioms bislang am besten erforscht ist, sieht etwa die amerikanische Gesellschaft für Gastroenterologie (AGA) nur bei wenigen Indikationen eine mehr oder weniger sichere Evidenz für eine Behandlung mit Probiotika (11). Dazu gehört der Einsatz von Probiotika bei
- Frühgeborenen zur Prävention der nekrotisierenden Enterocolitis,
- Pouchitis, und
- zur Prävention der Antibiotika-assoziierten Diarrhö.
Keine Empfehlung gibt die AGA hingegen für Probiotika ab bei
- Reizdarmsyndrom,
- Morbus Crohn oder
- Colitis ulcerosa, und
- Infektionen mit C. difficile
Hier weiss man noch zu wenig über die Vorteile und Risiken der bakteriellen Supplementierung.
Bei vielen anderen Erkrankungen wie bei der atopischen Dermatitis, Hypercholesterinämie oder Adipositas gibt es bereits Hinweise darauf, dass Probiotika zur Vorbeugung oder Symptomverbesserung wirksam sein könnten. Hier ist jedoch die Evidenz noch weniger klar als bei den Darmerkrankungen (12).
Wie lässt sich das Mikrobiom unterstützen?
Die Mikrobiomforschung befindet sich in vielen Indikationen derzeit vor dem Durchbruch, meint Dr. Philippe Baumann, Oberarzt an der Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie am Spital Wil, Wil SG (13). «Forschende sagen, dass es in der nächsten Zeit viele neue Erkenntnisse zum Mikrobiom und Probiotika zu dessen Beeinflussung geben wird.»
Derzeit habe man aber noch Mühe mit den Probiotika. So sei es etwa gar nicht so einfach, Resultate etwa aus einer amerikanischen oder japanischen Studie auf die Schweiz zu übertragen, denn oft sei das verwendete Präparat hierzulande gar nicht verfügbar.
Zudem unterscheide sich das Mikrobiom von Person zu Person. Ein Probiotikum, das bei einer Studiengruppe in Amerika funktioniert habe, sei daher möglicherweise bei anderen Patienten nutzlos.
Sicher sei die Gabe von Probiotika hingegen jedenfalls, so Dr. Baumann. Einzig bei schwer kranken und immunsupprimierten Patienten müsse man aufpassen.
Natürliche Probiotika sind in gesunden Nahrungsmitteln enthalten
Neben den industriell produzierten Probiotika empfiehlt Dr. Baumann Gesunden, auf «natürliche» Probiotika zurückzugreifen. Diese sind in bestimmten Nahrungsmitteln reichlich vorhanden.
So sind als nützlich beschriebene Keime wie Lactobazillen auch in fermentierten Lebensmitteln enthalten. Denn die Fermentation wurde weltweit jahrtausendelang verwendet, um Nahrung haltbar zu machen.
Zu fermentierten Lebensmitteln aus der Europäischen Küche zählen zum Beispiel:
- Naturjoghurt
- Sauerkraut
- Salzgurken
- Unfiltrierter Apfelessig
- nicht pasteurisierter Käse
Aus der internationalen Küche kommen ausserdem Lebensmittel wie:
- Kefir (Sauermilch)
- Kombucha (fermentierter Tee)
- Miso (fermentierte Sojabohnen)
- Tempeh (fermentierter Tofu)
- Kimchi (fermentierter Chinakohl)
Zu beachten ist dabei, dass es sich stets um nicht pasteurisierte Produkte handeln muss.
Natürliche Präbiotika finden sich zudem etwa in Wurzelgemüsen, Zwiebelgewächsen, Hülsenfrüchten, Getreide und Gemüse. Diese enthalten hohe Mengen an Mehrfachzuckern wie Fructanen, Pectinen und Stärke, sowie sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe wie Polyphenole, die aufgrund ihrer antioxidativen und antientzündlichen Eigenschaften ebenfalls hohen gesundheitlichen Wert haben.
Das Mikrobiom des Menschen und des Bodens hängen zusammen
Nicht nur Menschen und Tiere sind auf ein ausgewogenes Zusammenspiel ihres Mikrobioms angewiesen: Auch Pflanzen sind von einem gesunden Bodenmikrobiom abhängig, das sie mit Nährstoffen versorgt und sie vor Krankheiten schützt.
Das Mikrobiom in der Erde und unser menschliches Mikrobiom sind dabei auf unterschiedliche Arten verbunden. Dazu gehört, dass wir beim Essen Bakterien von Früchten und Gemüse aufnehmen, die dann Teil unserer Mikrobiota werden können.
Aktuell schlagen Forscher daher vor, dass zu einer gesunden Ernährungsweise nicht nur die Nährstoffe, Vitamine und Mineralien aus Pflanzen gehören, sondern auch die Mikroorganismen aus Pflanzen (14). Tatsächlich konnte in einer kleinen Studie bereits gezeigt werden, dass Menschen, die ihr selbst angebautes Gemüse verzehren, über eine höhere mikrobielle Diversität verfügen (15).
Forscher kritisieren daher auch den exzessiven Gebrauch von Herbiziden, Fungiziden und Pestiziden. Diese Chemikalien haben nicht nur verheerende Effekte auf das Bodenmikrobiom, und damit auch auf unsere pflanzlichen Nahrungsmittel. Sie lassen sich zum Teil auch schlecht abwaschen, und werden damit auch von uns mitgegessen. Bei vielen der Chemikalien ist ein Beweis der Unschädlichkeit auf den menschlichen Körper noch ausständig.
Eine Reduktion der Chemie in unserer Landwirtschaft würde daher nicht nur langfristig die Fruchtbarkeit unserer Böden erhalten, sondern würde sich auch positiv auf unsere eigene Gesundheit auswirken.
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