Medical Tribune
26. Juni 2023Nach dem Hirnschlag

Früher Beginn mit DOAK sicher und effektiv

Eine neue Studie zeigt, dass eine frühe Gabe direkter oraler Antikoagulanzien (DOAK) nach einem Hirnschlag das Risiko eines erneuten Hirnschlag-Ereignisses reduziert, ohne dass sich das Risiko von Komplikationen erhöht. Studienleiter Prof. Dr. Urs Fischer von den Universitätsspitälern Bern und Basel spricht im Interview darüber, was das für die Praxis bedeutet.

Die frühe Gabe von DOAK erwies sich in der ELAN-Studie als sicher und effektiver.
dszc/gettyimages

Bei Personen mit einem Vorhofflimmern verhindern neue Blutverdünner (direkte orale Antikoagulanzien, DOAK) Hirnschläge und systemische Embolien.

Allerdings wurden in den grossen Zulassungsstudien, die die Wirksamkeit dieser Medikamente untersuchten, Personen mit einem akuten Hirnschlag ausgeschlossen. Daher war es bisher unklar, wie früh man nach einem Hirnschlag mit DOAK starten darf. Ziel der ELAN-Studie (Early versus Late initiation of direct oral Anticoagulants in post-ischemic stroke patients with atrial fibrillatioN) war es, den Nutzen eines frühen mit einem späteren Behandlungsbeginns bei Personen mit einem akuten Hirnschlag und einem Vorhofflimmern zu untersuchen (1).

Prof. Dr. Urs Fischer
zVg

Prof. Dr. Urs Fischer leitete die Studie zur frühen Einleitung von DOAK nach einem Hirnschlag.

Herr Prof. Fischer, warum empfahl man bislang, den Beginn der Antikoagulationsbehandlung bei Hirnschlagpatienten mit Vorhofflimmern zu verzögern?

Blutverdünner helfen zwar, Durchblutungsstörungen zu verhindern, sie können aber auch das Risiko von Hirnblutungen erhöhen, insbesondere bei Personen mit einem akuten Hirnschlag. Dies ist seit vielen Jahren bekannt, insbesondere bei den Blutverdünnern Heparin oder den Vitamin-K-Antagonisten. Ob aber die neueren Medikamente das Blutungsrisiko nach einem akuten Hirnschlag ebenfalls erhöhen, war bisher nicht bekannt. Daher galt in der Vergangenheit die Empfehlung, in der Akutphase eines Hirnschlags mit der Blutverdünnung zuzuwarten, insbesondere bei Personen mit einem grossen Hirnschlag, da diese ein erhöhtes Blutungsrisko aufwiesen. Andererseits ist aber auch das Risiko von erneuten Durchblutungsstörungen in den ersten Tagen nach einem Hirnschlag erhöht.

Daher waren Ärztinnen und Ärzte bei Personen mit einem akuten Hirnschlag und Vorhofflimmern stets in einem Dilemma. Durch einen frühen Behandlungsbeginn erhöht sich das Blutungsrisiko, durch einen späteren Behandlungsbeginn das Risiko von neuen Durchblutungsstörungen. Beide Ereignisse (Hirnblutung und Durchblutungsstörung) haben einen relevanten Einfluss auf das Schicksal der Personen und können im schlimmsten Fall in einer schweren Behinderung enden oder sogar tödlich verlaufen.

Methoden und Design der ELAN-Studie

Die Studie untersuchte 2013 Personen mit einem akuten ischämischen Hirnschlag und Vorhofflimmern. Die Personen wurden zwischen 2017 und 2022 in 103 verschiedenen Stroke Units in 15 Ländern in Europa, dem Nahen Osten und Asien (Japan und Indien) rekrutiert. Je nach Grösse und Ort des Hirnschlags (d. h. leichter, mittelschwerer oder schwerer Hirnschlag) wurden die Teilnehmenden nach dem Zufallsprinzip einem frühen oder einem späteren, in den Leitlinien empfohlenen Behandlungsbeginn zugewiesen.

Ein früher Beginn war definiert als innerhalb von 48 Stunden nach einem leichten/mittelschweren Hirnschlag oder am Tag 6 bis 7 nach einem schweren Hirnschlag. Ein später Beginn war definiert als Tag 3 bis 4 nach einem leichten Hirnschlag, Tag 6 bis 7 nach einem mittelschweren Hirnschlag oder Tag 12 bis 14 nach einem schweren Hirnschlag. Das primäre Ziel der Studie war es, die Rate an erneuten Hirnschlägen, symptomatischen Hirnblutungen, extrakraniellen Blutungen, systemischen Embolien oder vaskulären Todesfällen innerhalb von 30 Tagen nach der Zuteilung in die Studiengruppen zu ermitteln.

Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus den Resultaten der ELAN-Studie ziehen?

Die Studie zeigt, dass durch einen frühen Behandlungsbeginn bei Personen mit einem Hirnschlag und Vorhofflimmern nicht mehr Hirnblutungen oder andere Komplikationen auftreten als bei einem späteren Behandlungsbeginn.

Ausserdem traten in der frühen Behandlungsgruppe weniger ischämische Ereignisse (i.e. Hirnschläge oder systemische Embolien) auf. Somit zeigt die ELAN-Studie, dass die frühere Behandlung das Risiko, einen erneuten Hirnschlag zu erleiden, verringern kann, ohne dass die Gefahr von Blutungen steigt.

Wie können die Ergebnisse dieser Studie die klinische Praxis beeinflussen? Sind Veränderungen in den Leitlinien zu erwarten?

Angesichts der Ergebnisse ist ein früher Behandlungsbeginn sinnvoll, wenn er indiziert oder aus logistischen oder anderen Gründen erwünscht ist. Personen mit einem akuten Hirnschlag und Vorhofflimmern sollten daher in der Akutphase auf einer spezialisierten Abteilung (Stroke Unit) durch ein spezialisiertes interdisziplinäres und interprofessionelles Team behandelt werden. Dort klärt man die Betroffenen sorgfältig ab und startet je nach den Befunden in der Bildgebung eine frühe Behandlung mit einem Blutverdünner und/oder anderen Medikamenten.

Die Akteure, die Leitlinien verfassen, werden nun die Daten der ELAN-Studie sorgfältig analysieren und eine Anpassung der Guidelines evaluieren.

Kommt es darauf an, welcher Blutverdünner als Sekundärprophylaxe eingesetzt wird?

Die Wahl des Blutverdünners bei Personen mit einem Hirnschlag hängt von der zu Grunde liegenden Ursache ab. Beispielsweise werden bei Personen mit einem Hirnschlag und einer Atherosklerose in der Regel Thrombozytenaggregationshemmer eingesetzt, während bei Personen mit einem Hirnschlag und Vorhofflimmern Antikoagulantien indiziert sind.

Dabei sind die DOAK den traditionellen Vitamin-K-Antagonisten überlegen. Allerdings war bisher unbekannt, wie früh man DOAKs nach einem akuten Hirnschlag und Vorhofflimmern starten kann, da diese Patienten bei den grossen Vergleichsstudien (Vitamin-K-Antagonisten vs. DOAK) ausgeschlossen waren.

DOAK helfen, Hirnschlagrezidive und systemische Embolien bei Personen mit Vorhofflimmern zu verhindern. Sie können aber auch das Risiko von Hirnblutungen erhöhen, insbesondere bei Personen mit einem akuten Hirnschlag. In der Abwesenheit von Evidenz durch randomisierte Studien haben Experten daher empfohlen, mit der Blutverdünnung bei Personen mit einem «kleinen» Hirnschlag drei Tage, mit einem «mittelschweren» Hirnschlag sechs Tage und mit einem «schweren» Hirnschlag 12 bis 14 Tage zuzuwarten.

Wie sehen Sie das Ganze bei doppelt blutverdünnten Patienten?

Personen, die bei der Hospitalisation einen Thrombozytenaggregationshemmer oder eine kurzfristige Therapie mit zwei Thrombozytenaggregationshemmern erhielten, konnten in die ELAN-Studie eingeschlossen werden. Somit gelten die oben genannten Ergebnisse auch für Personen, die zusätzlich zur DOAK-Therapie einen Thrombozytenaggregationshemmer einnahmen. Wir werden nun aber analysieren, ob Personen mit einem DOAK und zusätzlicher Thrombozytenaggregationshemmung ein unterschiedliches Nutzen / Risikoverhältnis aufweisen als Personen mit einer alleinigen Therapie mit DOAK. Personen, bei denen eine langfristige Therapie mit zwei Thrombozytenaggregationshemmern indiziert war, wurden aber nicht eingeschlossen, da in der ELAN-Studie Personen sehr früh nach einem Hirnschlag randomisiert und therapiert wurden. Wir wollten eine längerfristige Dreifachtherapie (i.e. zwei Thrombozytenaggregationshemmer plus DOAK) vermeiden, um das Blutungsrisiko nicht zusätzlich zu erhöhen.

Wie geht es nun weiter in der Forschung zu diesem Thema?

In der ELAN-Studie wurden Personen, die zum Zeitpunkt des Hirnschlages bereits einen Blutverdünner einnahmen, ausgeschlossen. Somit ist bei diesen Personen unklar, ob man die vorbestehende Blutverdünnung einfach weiterführen soll, oder ob eine andere Behandlung, zum Beispiel mit kardialen Devices angezeigt wäre. Eine vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützte Studie wird die Frage untersuchen, ob Personen, die trotz suffizienter oraler Antikoagulation einen Hirnschlag erleiden, zusätzlich mit einem kardialen Devices behandelt werden sollen.

Ausserdem wurden bei der ELAN Studie Personen mit einem Vorhofflimmern und einem eingebluteten Infarkt oder mit einer Hirnblutung ausgeschlossen. Somit ist unklar, wann bei diesen Personen die Blutverdünnung gestartet werden kann.

Neben der ELAN-Studie gibt es noch weitere Studien zur gleichen Fragestellung: die TIMING Studie, die allerdings wegen einer niedrigen Rekrutierungsrate frühzeitig nach dem Einschluss von 888 Personen abgebrochen werden musste, zeigte ebenfalls keine Hinweise auf ein erhöhtes Blutungsrisiko bei einem frühzeitigen Beginn. Die britische OPTIMAS-Studie ist noch nicht abgeschlossen, und die Resultate werden für 2024/2025 erwartet. Wir werden die Daten von diesen und anderen Projekten in einer grossen Metaanalyse poolen und analysieren, ob bestimmte Personen einen besonderen Nutzen respektive ein besonderes Risiko einer frühen, respektive einer späteren Therapie aufweisen.