Medical Tribune
3. Mai 2023Was bringen Polymethylsiloxan und Mikrobiotatransfer?

Reizdarmsyndrom: «Darm-Detox» und Stuhltransplantation

Es gibt nicht die eine Therapie, die allen Reizdarm-Patienten hilft. Vielmehr muss man individuell prüfen, welche Beschwerden im Vordergrund stehen und welche Behandlungs­option die grösste Linderung bringt. Zwei davon sollte man sich genauer ansehen.

Zwei neuere Therapien sollte man sich beim Reizdarmsyndrom ansehen.
Dr_Microbe/gettyimages

Das Reizdarmsyndrom erfordert eine multimodale Behandlung. Neben medikamentösen Optionen kommen verschiedene symptomunabhängige, allgemeine Therapieverfahren zum Einsatz. Dazu gehören u.a. die Psychotherapie, Ernährungstherapien und die Mikrobiommodulation.

Auf zwei relativ neue Ansätze geht PD Dr. Viola­ ­Andresen, Israelitisches Krankenhaus in Hamburg, ausführlicher ein: Die Einnahme von Polymethyl­siloxan und den fäkalen Mikrobiotatransfer (FMT) (1).

Polymethylsiloxan-Hydrogel linderte auch Blähungen deutlich

Polymethylsiloxan wird in Form eines Hydrogels eingenommen. Der Stoff besitzt eine hohe Adsorptionskapazität und wird zuweilen als «Detox-Produkt» angepriesen. In einer randomisiert-kontrollierten Studie erhielten 431 Patienten mit Reizdarmsyndrom vom Diarrhö-Typ verblindet entweder Poly­methylsiloxan-Gel oder Placebo über acht Wochen. Den primären Endpunkt, definiert als die Besserung von Schmerzen und Stuhlkonsistenz über mindestens vier Wochen hinweg, erreichten nach acht Wochen im Polymethylsiloxan-Arm 37,4 Prozent der Patienten – im Vergleich zu 24,3 Prozent unter Placebo.

Zudem berichteten die Patienten unter Verum von einer signifikanten Besserung von Stuhlkonsis­tenz, -frequenz und -drang sowie von einer deutlichen Linderung der Blähungen. Anschliessend wurden alle Patienten aus der Studie (zu diesem Zeitpunkt noch 393) für weitere acht Wochen auf ­Polymethylsiloxan-Gel umgestellt.

Eine hinreichende Linderung der Beschwerden gaben 68 Prozent der Patienten an, die neu auf das Hydrogel umgestellt worden waren, und 74 Prozent derer, die dieses von Anfang an erhalten hatten. Poly­methylsiloxan-Gel sei ein interessanter Ansatz mit vielversprechenden ersten Daten, kommentiert PD Dr. Andresen. Allerdings sei bislang unklar, ob das Gel längerfristig auch «gute» Darminhalte absorbiert. Das gelte es noch zu erforschen.

FMT: Stuhl eines «Superspenders» brachte bei fast 90 Prozent Besserung

Die FMT, die häufig vereinfacht als «Stuhltransplantation» bezeichnet wird, kann derzeit nicht generell zur Behandlung des Reizdarmsyndroms empfohlen werden. Bei der richtigen Spender-Empfänger-Konstellation allerdings hat die Behandlungsform das Potenzial, sehr effektiv zu sein, betont die Referentin.

Im Jahr 2020 sorgte eine Studie für Furore, in der der Stuhl eines sogenannten «Superspenders» bei Reizdarm-Patienten zu einer signifikanten Besserung der Symptomschwere führte. Drei Monate nach FMT lag die Ansprechrate bei 89,1 Prozent in der Gruppe derjenigen Patienten, die eine Dosis von 60 g erhalten hatten, und bei 76,9 Prozent in der 30-g-Gruppe. Zum Vergleich: Unter Placebo erreichten lediglich 23,6 Prozent der Behandelten ein ­Ansprechen.

Im vergangenen Jahr erschienen schliesslich die Langzeitdaten aus der Untersuchung. Diese zeigen: Auch nach drei Jahren ist die FMT der Placebo-Gabe signifikant überlegen. Die Ansprechraten lagen bei 71,8 bzw. 64,9 vs. 27,0 Prozent. Eine komplette Remission hatten in der 60-g-Gruppe 25 Prozent und in der 30-g-Gruppe 15 Prozent erreicht. Im Placebo-Arm waren nur acht Prozent beschwerdefrei.

«Diese Studiendaten sind sehr ermutigend», so PD Dr. Andresen. Der Fokus der weiteren Forschung müsse nun auf der genauen Identifizierung der wirksamen Spender-Mikrobiom-Zusammensetzung liegen, um ein geeignetes industriell gefertigtes Biotherapeutikum entwickeln zu können.

«Nebenwirkungen» kritisch hinterfragen

Viele Reizdarm-Therapien bringen das Potenzial für extraintestinale Nebenwirkungen mit sich. Begleitend zu einer randomisiert-kontrollierten Studie zur Wirksamkeit von Pfefferminzöl beim Reizdarmsyndrom hat man untersucht, ob die von den Patienten genannten extraintestinalen Beschwerden tatsächlich mit der Behandlung zusammenhängen.

Im Schnitt wurden bis Therapieende pro Patient drei extra­intestinale Symptome berichtet. Zu Studieneinschluss lag diese Zahl mit fünf genannten Beschwerden pro Patient jedoch deutlich höher – dieser Trend galt über alle Gruppen hinweg. Viele Symptome, die als Nebenwirkungen erfasst werden, sind auch vor der Therapie schon da, erklärt PD Dr. Andresen. Ihrer Meinung nach müsste in allen diesbezüglichen Studien (nicht nur beim Reizdarmsyndrom) viel systematischer als bislang abgefragt werden, welche vermeintlichen Nebenwirkungen bereits zu Beginn der Untersuchung vorhanden waren.