Medical Tribune
6. Mai 2022Feinstaub, Weichmacher und Möbelschutz

Umweltgifte im Alltag: Wie kann man sie vermeiden?

Feinstaub, Weichmacher im Trinkwasser, Blei und Quecksilber - die Belastung der Umwelt mit Schadstoffen kann die menschliche Gesundheit beeinträchtigen. Zudem sollen einige Umweltgifte sogar das Krebsrisiko erhöhen. Dabei können kleine Kniffe helfen, Umweltgifte zu vermeiden.

Auch Alltagshandlungen wie Kerzen anzünden verursachen Schadstoffe
iStock/ConstantinosZ

Die Politik versucht die Schädlichkeit von Umweltgiften zu minimieren, indem sie seit Jahren Grenzwerte für Schadstoffe erlässt. Zu unterscheiden gilt: Den eigenen Lebensstil kann man beeinflussen, den Umweltgiften kann man jedoch nur teilweise durch eigenes Verhalten aus dem Weg gehen.

Das Exposom – grosser Forschungsbedarf

Das Exposom kann definiert werden als die Gesamtheit der Expositionen, denen eine Person im Laufe ihres Lebens ausgesetzt ist, und wie diese Expositionen mit der Gesundheit zusammenhängen. Die Exposition eines Individuums beginnt vor der Geburt und umfasst Beeinträchtigungen aus der Umwelt und aus beruflichen Quellen (1).

Laut des europäischen Berichtes «The Environment in Europe - State and Outlook 2020» stehen wir vor Herausforderungen von beispiellosem Ausmass. Die Zahl der neuen Chemikalien sei zwischen 2002 und 2019 von 20 auf 156 Millionen angestiegen. Es besteht also Forschungsbedarf. Die medizinische Forschung schätzt, dass neun Millionen Todesfälle pro Jahr weltweit mit Umweltverschmutzung zusammenhängen.

Ubiquitäres Problem Plastik

Wir wissen es alle, wir sollten Plastik vermeiden. Plastik ist jedoch allgegenwärtig. Wissenschaftler bezeichnen Plastikpartikel von einer Grösse unter fünf Millimetern als Mikroplastik. Das Mikroplastik findet sich nahezu überall in der Umwelt. Auch Faserrückstände, welche nach dem Waschen von Kunstfaserkleidung wie Polyester Fleece im Waschwasser verbleiben, gelten  als Mikroplastik. Mikroplastik gelangt ins Trinkwasser und dann in unseren Körper. Aber auch über Spielzeug werden Schadstoffe aufgenommen. Spielzeugautos, Schwimmringe und Plastikpuppen sind hier mitschuldig – vor allem in Farben und Lacken der Spielwaren können Mikroplastik und Schwermetalle enthalten sein. Ein Blick auf ein allfälliges Prüfsiegel (z.B. der Blaue Engel) und gegebenenfalls auf das Herkunftsland kann helfen, grosse Mikroplastik-Sünder zu identifizieren. Aber auch eine Geruchsprobe kann Auskunft geben, welches Spielzeug schädlich ist.

Unterschätzte Alltagssituationen – vier Beispiele

  • Glyphosat im Bier: Im konventionellen Getreideanbau ist der Einsatz von Glyphosat in grossen Mengen an der Tagesordnung. Zwar ist das Spritzen des Herbizids direkt vor der Ernte verboten, aber vor und nach der Aussaat wird Glyphosat regelmässig angewendet. In Pflanzen und Boden sammelt sich das Spritzmittel dann an.
  • Primäre aromatische Amine im Brötchen vom Bäcker: Das Problem hier ist die Druckfarbe der bunten schönen Tüten, in welchen die Backwaren verpackt sind. Bei der Herstellung von gelben und roten Farben können Reste von so genannten primären aromatischen Aminen mit in die Farbe gelangen, die als Verunreinigung in den Tüten verbleiben.
  • Mikrofasern im Wäschetrockner: Wäschetrockner sind ein übersehenes Problem für die Umwelt, wie ein Team von der City University Hong Kong nach einem Experiment mit Wäschetrocknern herausgefunden hat (2). Wäschetrockner setzen 1,5- bis 40-mal so viele mikroskopische Teilchen aus der Kleidung frei wie eine Waschmaschine. Und anders als bei der Waschmaschine, deren Abwasser in der Kläranlage von den Partikeln befreit wird, gelangen die Mikrofasern aus dem Trockner ungefiltert in die Luft und die Umgebung.
  • Formaldehyd im Coffee-To-Go-Becher: Wechselt man von Plastik auf vermeintlich natürlichen Bambus, kommt ein neues Problem hinzu. Bambusbecher bestehen hauptsächlich aus so genannten Melaminharzen, welche bei heissen Temperaturen in ihre Bestandteile - Melamin und Formaldehyd - zerfallen und vom Körper aufgenommen werden.

Endokrine Disruptoren – Analyse schwierig

Im Körper haben Umweltgifte vor allem auf die besonders sensiblen Keimzellen üble Auswirkungen. Die Belastung des Menschen mit chemischen Stoffen, die endokrine Wirkungen haben, sogenannte endokrine Disruptoren, hat in den letzten Jahrzehnten zugenommen. Bei den endokrinen Disruptoren handelt es sich um eine Gruppe von Giften mit einem komplexen Wirkmechanismus. Ihre Auswirkungen auf die Keimzellen betreffen nicht nur die den Fötus und das Neugeborene, sondern auch nachfolgende Generationen. In diesem Zusammenhang wurden insbesondere Phthalate und Bisphenol A untersucht.

Das Problem bei der Messung von Konzentrationen und Wirkungen endokriner Disruptoren bestehe darin, dass sie, ähnlich wie natürliche Hormone, keiner klassischen Dosis-Wirkungs-Kurve folgen. Dies macht die Analyse und das Verständnis der Wechselwirkungen verschiedener Substanzen und ihrer Wirkungen noch schwieriger (3).

Tipps für den Alltag

Den direkten Kontakt mit Umweltgiften kann man im Alltag verringern: Haarefärben vermeiden, Textilien vor dem ersten Gebrauch waschen, für die Babys Nuckelflaschen aus Glas kaufen. Den Wäschetrockner sowie Weichspüler so wenig als möglich benutzen. Ökologisch erzeugte Lebensmittel kaufen, so oft wie möglich Konservendosen meiden, Obst und Gemüse vor dem Essen schälen. Lufterfrischer sowie Duftkerzen vermeiden. Beim Umgestalten der Wohnung sollten zudem immer Naturharz-Lacke, sowie Dispersionsfarben, die allein Wasser als Lösungsmittel enthalten, verwendet werden.

Auch die in Polstermöbeln besonders häufigen Brandschutzchemikalien (Polybromierte Diphenylether, PBDE) lassen sich durch einen einfachen Tipp umgehen: Diese nicht zu häufig neu kaufen, und wenn möglich auf waschbare Bezüge zurückgreifen. Darüber hinaus ist ein Absinken der Chemikalien auf den Boden zu vermeiden, mit dem besonders die speziell sensiblen Kleinkinder in intensiven Kontakt stehen. Bei Hauskatzen konnte bereits gezeigt werden, dass eine hohe Belastung der Umgebung mit Brandschutzmittel aus Möbeln das Risiko für Schilddrüsenüberfunktionen erhöht (4). Die zwei einfachsten Mittel, um üble Chemie vom Boden zu entfernen? Viel lüften, und nicht nur staubsaugen, sondern auch gelegentlich aufwischen.

Referenzen
  1. Centers for Desease Control and Prevention, Exposome and Exposomics, 21. April 2014 (abgerufen am 21.02.2022).
  2. Tao D et al.  Microfibers Released into the Air from a Household Tumble Dryer. Environ Sci Tech Let 2022, 9, 120-126 (abgerufen am 21.02.2022).
  3. Popovici RM, Sonntag B. Umweltgifte und ihre hormonelle Wirkung. Der Gynäkologe 4 2021 DOI:10.1007/s00129-020-04741-w.
  4. Poutasse CM, et al. Silicone Pet Tags Associate Tris(1,3-dichloro-2-isopropyl) Phosphate Exposures with Feline Hyperthyroidism. Environ Sci Technol. 2019 Aug 6;53(15):9203-9213. doi: 10.1021/acs.est.9b02226.