Medical Tribune
6. Okt. 2017Medizinische Erfahrung wird überschätzt

Erfahrung überschätzt? Ältere Ärzte therapieren ihre Patienten schlechter

Es gibt Studien, die darauf hindeuten, dass medizinische Erfahrung überschätzt wird. So ergab eine ältere Untersuchung, dass Mediziner mit mehr Berufsjahren ein geringeres medizinisches Wissen haben und qualitativ schlechtere Arbeit abliefern als jüngere Kollegen.

Eine gewagte These, die nun das Team um Dr. Yusuke Tsugawa von der Harvard T. H. Chan School of Public Health in Boston mit einer umfassenden Datenanalyse auf die Probe stellte. Es wertete die Daten von rund 700 000 amerikanischen Spital-Patienten in den Händen von Internisten und Allgemeinmedizinern aus. Geprüft wurde, wie das Alter der Ärzte das Behandlungsresultat beeinflusste.
Mit jedem Jahrzehnt Altersunterschied zwischen den Medizinern erhöhte sich die 30-Tage-Mortalität der Therapierten signifikant. Verglichen mit einem dreissig- bis vierzigjährigen Kollegen war bei einem Arzt kurz vor dem Rentenalter das Sterberisiko der Patienten um rund 10 % höher. Ein Unterschied, der etwa der Rate entspricht, mit der Statine in der Primärprävention die Mortalität senken.
Was die Ursachen des Phänomens angeht, bleiben die Autoren vage. Möglicherweise seien ältere Ärzte tatsächlich weniger leistungsfähig, spekulieren sie.

Mangelt es an Übung oder sind die Medis veraltet?

Erklärung Nr. 2: Manche Mediziner haben nach den langen Berufsjahren nicht mehr den aktuellen Stand der Forschung parat, setzen veraltete Medikamente ein und halten sich weniger strikt an Leitlinien. Vielleicht fehlt es ihnen einfach an Übung, weil sie als Niedergelassene weniger Patienten versorgen als Jüngere im Spital. Die letzte These wird durch ein weiteres Ergebnis der Studie gestützt: Ein Arzt jenseits der Sechzig hatte, wenn er besonders viele Patienten behandelte, genauso gute Erfolgsquoten wie seine jüngeren Kollegen.

Tsugawa Y et al. BMJ 2017; 357: online first.