Schwachstellen der SPRINT-Studie
Eine adäquate Blutdrucksenkung ist ein wichtiger Bestandteil der kardiovaskulären Prävention. Doch was heisst adäquat? Inzwischen findet in vielen Ländern eine kontroverse Diskussion um die Implementierung der SPRINT-Resultate statt – mit einem systolischen Zielblutdruck von < 120 mmHg. Am 56. Ärztefortbildungskurs setzte sich Professor Dr. Nicolas Rodondi, Chefarzt, Poliklinik für Allgemeine Innere Medizin, Inselspital Bern und Direktor des Berner Instituts für Hausarztmedizin, mit den Konsequenzen von SPRINT in der Schweiz auseinander.
Eigentlich brachte die Konzeption der SPRINT-Studie (Systolic blood Pressure Intervention Trial) optimale Voraussetzungen mit, um die Frage zu klären, ob bei kardiovaskulären Risikokandidaten eine aggressive Blutdrucksenkung auf systolische Werte < 120 mmHg vs. < 140 mmHg im Hinblick auf den primären Endpunkt überlegen ist. Dieser bestand aus einer Kombination von erstem Auftreten eines Herzinfarkts, akutem Koronarsyndrom (ACS), Schlaganfall, Herzinsuffizienz oder Tod infolge einer kardiovaskulären Erkrankung.
Die vom amerikanischen National Institute of Health (NIH) finanzierte Studie schloss 9361 Patienten > 50 Jahre mit einem systolischen Blutdruck zwischen 130 und 180 mmHg ein, bei denen mindestens ein weiterer Risikofaktor vorlag. Ausgeschlossen waren Patienten mit Diabetes, symptomatischer Herzinsuffizienz oder einem Schlaganfall in der Anamnese. Die Studie wurde vorzeitig beendet, da sich mit der intensivierten Blutdrucktherapie eine signifikante Reduktion des primären Endpunkts um 25 % erzielen liess. Darüber hinaus konnte die Gesamtmortalität um 27 % gesenkt werden.
Diese Resultate erscheinen in einem etwas anderen Licht, wenn man einzelne sekundäre Endpunkte heranzieht: Weder im Hinblick auf Myokardinfarkt, ACS oder den Schlaganfällen bestanden signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen, erklärte Prof. Rodondi. Hingegen zeigte sich eine klare Überlegenheit bei der Herzinsuffizienz sowie der kardiovaskulären und der Gesamtmortalität. Die Risikoreduktion wurde allerdings mit einer erhöhten Rate schwerwiegender Nebenwirkungen erkauft.
Insgesamt legen die SPRINT-Resultate nahe, dass durch eine strikte Blutdruckeinstellung mit einem Zielwert < 120 mmHg systolisch bei den meisten Hypertonikern eine deutliche Verbesserung der Prognose erreicht werden kann, so die Schweizerische Hypertonie-Gesellschaft (SHG) in einer Stellungnahme1. Doch in der intensiv behandelten Gruppe traten auch signifikant mehr Hypotonien, Synkopen, Elektrolytstörungen, akute Nierenschädigungen bzw. akutes Nierenversagen auf als unter der Standardtherapie.
Weiterhin bleiben viele Fragen offen
Es gibt noch viele offene Fragen, weshalb in der Schweiz vorerst keine Anpassung der Empfehlungen stattfinden sollte, so Prof.
Rodondi: Weshalb kam es z. B. nicht zur Reduktion der Schlaganfallrate? Profitieren alle Patientengruppen, insbesondere auch betagte, multimorbide Patienten oder solche mit Diabetes – oder müssen sie lediglich mit mehr Nebenwirkungen rechnen? Und welche Rolle spielte die Methode der Blutdruckmessung, die von den Gepflogenheiten in der Praxis abweicht (s. Kasten).
Da das Messverfahren in SPRINT weder Guideline- noch Praxis-konform ist, wird die Übertragbarkeit der Resultate in die Routinepraxis angezweifelt.
Die Messmethode beeinflusst das Resultat
Eine Studie mit 444 hypertensiven US-Veteranen konnte zeigen, dass die Methode der Blutdruckmessung signifikante Auswirkungen auf die Blutdruckwerte hat.2 Verglichen wurden klinische Blutdruckmessung während einer ambulanten Konsultation, standardisierte Forschungs-Blutdruckmessung mit digitalem Sphygmomanometer und eine Messung mit einem elektronischen Gerät zu Hause.
Die Selbstmessung lieferte im Durchschnitt um 9,6mmHg tiefere Wert als die Fremdmessungen. Die Messung in der Sprechstunde ergab bei 28% eine gute Blutdruckkontrolle, die Studienmessung bei 68% und die Selbstmessung bei 47 %. Basierend auf diesen Studiendaten hinterfragte Prof. Rodondi die SPRINT-Resultate: Die mit dem digitalen Sphygmomanometer ermittelten Werte <120mmHg entsprechen einer Messung von 140mmHg in der Sprechstunde. Seiner Meinung nach besteht das Risiko, dass Patienten zu aggressiv behandelt und mehr Nebenwirkungen in Kauf genommen werden, wenn man in der Sprechstunde einen Zielblutdruck <120mmHg anstrebt.
Die SHG empfiehlt unverändert für die meisten Patienten einen Zielblutdruckwert von <140/90mmHg. Bei Diabetikern werden Werte <140/85mmHg und bei (hoch) betagten Patienten mit isolierter systolischer Hypertonie <150mmHg angestrebt.
1 Allemann Y et al. Swiss Med Forum 2016; 16(49–50): 1080–1081.
2 Powers BJ et al. Ann Int Med 2011; 154(12): 781– 788.
Blutdruckmessung in der SPRINT-Studie |
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Die Blutdruckmessung bei den Teilnehmern der SPRINT-Studie erfolgte in einem ruhigen Raum – ohne Anwesenheit eines Arztes oder von medizinischem Personal. Das Blutdruckmessgerät war für drei Messungen programmiert, mit iner Wartezeit von fünf Minuten vor der ersten Messung. |