Medical Tribune
14. März 2017Sturzrisiko effektiv reduzieren

Mit zwei einfachen Fragen das Sturzrisiko klären

Dabei brechen durch die Stürze nicht nur Knochen, sondern auch die Seele nimmt Schaden. Zwar lassen sich nicht alle Stürze vermeiden, aber es lohnt sich, das Sturzrisiko abzuklären, mögliche Risikofaktoren zu eruieren und vor allem gerade die Senioren zum Training zu motivieren. Denn so kann das Sturzrisiko sehr effektiv reduziert werden.

In der Geriatrie gehören Stürze leider zum Alltag, berichtete PD Dr. Helmut Frohnhofen, Altersmedizin Alfried Krupp Krankenhaus Essen, an einem Workshop im Rahmen der Amgen Bone Academy 2017. Nicht selten führen die Stürze dazu, dass die Senioren ihre Selbstständigkeit verlieren und zum Pflegefall werden. Jeder Sturz ist dabei von drei Determinanten abhängig, erklärte der Ge­riater: der aktuellen Tätigkeit, dem Umfeld und den Risikofaktoren. 90% der Stürze sind multifaktoriell.

Es gibt lange Listen mit Risikofaktoren. So erhöhen u. a. zunehmendes Alter, Stürze in der Vergangenheit, sensomotorische Funktionsstörungen, insbesondere durch neurologische Erkrankungen wie Demenz, M. Parkinson oder Ataxie, Störungen des Seh- oder Hörvermögens, Kontinenzprobleme, verschiedene Medikamente und verschiedene Erkrankungen das Sturzrisiko. Aber auch äussere Einflüsse wie unebene, glatte Böden, steile Treppen, Stolperfallen im häuslichen Umfeld, schlechte Beleuchtung oder ungeeignetes Schuhwerk begünstigen Stürze. Im Alter nehmen die Einflüsse von aussen ab und die intrinsischen Faktoren nehmen zu. Ab einem bestimmten Alter überschreiten die Senioren allein aufgrund ihres Alters die Sturzschwelle.

Nach Stürzen und Schläfrigkeit fragen

«Wir brauchen aber keine langen Listen», sagte PD Dr. Frohn­hofen. Denn mit zwei einfachen Fragen lässt sich das individuelle Sturzrisiko genauso gut abschätzen: «Sind Sie in den letzten drei Monaten gestürzt?» und «Schlafen Sie tagsüber in Situationen ein, in denen Sie eigentlich wach sein sollten?» Kürzliche Stürze (< 3 Monate) und Schläfrigkeit sind die mit Abstand stärksten Risikofaktoren (RR 3,41 bzw. 3,10). Wird eine der beiden Fragen mit Ja beantwortet, sollte man genauer hinschauen. In der Praxis reichen einfache Tests, um Muskelkraft und Gleichgewicht zu beurteilen, gebrechliche Patienten zu erkennen und daraus ein Trainingsprogramm abzuleiten. Die Senioren sollten 10 Sekunden im Tandemstand stehen (ein Fuss so vor dem anderen, dass die Ferse des einen die Zehen des anderen Fusses berührt), fünfmal innerhalb von 10 Sekunden ohne Armeinsatz aufstehen können und eine Gehgeschwindigkeit von mehr als 1 m/s haben. In der Praxis kann man den Patienten im Flur ein Stückchen gehen lassen und stoppt dabei eine markierte Strecke von 5 m ab.

Training 2–3 × pro Woche hilft gesund zu altern

Schafft der Patient das nicht, sollte ein Trainingsprogramm etabliert werden. Dabei ist Training bis ins hohe Alter effektiv. «Turne bis zur Urne» lautet das Motto. Denn wer trainiert und nicht stürzt, wird gesünder alt. Empfohlen werden 2–3 ×/Woche 30 Minuten. Wichtig ist, dass die Übungen zu Hause mit Alltagsgegenständen ausgeführt werden können. Dabei gilt es, Muskelkraft (z. B. Aufstehen aus dem Sitzen, Strecken der Beine mit einem Band), Propriozeption (Laufen auf unterschiedlichen Oberflächen), Balance (Stehen auf einem Bein, Zeigen mit dem freien Fuss, Ausweichen von Hindernissen) und Flexibilität (Schieben eines Skateboards im Sitzen) zu trainieren. Der Effekt des Trainings ist mit einer Number needed to treat von 15 «gigantisch», schwärmt PD Dr. Frohnhofen.

Natürlich sollten immer auch alle Medikamente hinsichtlich ihres Nutzen-Risiko-Verhältnisses überprüft werden. So können Statine eine Myopathie verursachen und das Sturzrisiko erhöhen. Dagegen kann ein Schlafmittel bei einem Patienten mit Schlafstörung, wenn es denn wirkt, sogar das Sturzrisiko reduzieren, nannte PD Dr. Frohnhofen zwei vielleicht weniger bekannte Beispiele. Auch sollte immer der Visus überprüft werden sowie Massnahmen zur Anpassung der Wohnung durchgeführt werden.