Medical Tribune
2. Juni 2016Arzneimittelinduzierte Myopathien

Viele Medikamente schaden den Muskeln

Statine zählen weltweit zu den am häufigsten verordneten Medikamenten und insgesamt besitzen sie ein günstiges Nutzen-Risiko-Profil. Allerdings verursachen sie nicht selten arzneimittelinduzierte Myopathien: Bei bis zu 25 % der Statinanwender kommt es zur blanden Erhöhung der Kreatinkinase (CK) mit oder ohne Muskelschmerzen. Doch können auch gravierende, lebensgefährliche Nebenwirkungen mit Paresen oder Rhabdomyolysen auftreten, schreiben Christoph Kuhm von der Medizinischen Klinik des Kantonsspitals Münsterlingen und Mitarbeiter in der "internistischen praxis". Dass bestimmte Statine den Muskeln besonders schaden, wurde bisher nicht belegt. Doch gehen hohe Dosierungen und eher lipophile Substanzen wie Simvastatin mit höherem Myopathierisiko einher.

Das HAART-Paradox

Häufig werden NRTI/NtRTI und Protease­inhibitoren als Dreierkombi im Rahmen einer hochaktiven antiretroviralen Therapie (HAART) eingesetzt. Interessanterweise treten Muskelkomplikationen unter einer HAART deutlich seltener auf als unter weniger aggressiver Therapie – wahrscheinlich weil die einzelnen Medikamente niedriger dosiert werden.

CK-Anstieg bis auf das 10-Fache der Norm tolerierbar

Wie reagieren Sie nun, wenn Statine Muskelprobleme induzieren? In erster Linie gilt es für eine ausreichende Schmerzlinderung zu sorgen. Bei ausgeprägtem Schweregrad sollte über das Absetzen des Medikaments nachgedacht werden – wobei natürlich bei jedem einzelnen Patienten Nutzen und Risiken bedacht werden müssen. Ausser einer Reduktion der Statindosis oder Verlängerung des Einnahmeintervalls kommt auch ein anderes Statin oder ein anderer Lipidsenker in Betracht. Ist der Patient asymptomatisch oder hat er nur leichte Beschwerden, darf man in der Regel eine CK-Erhöhung bis auf das 10-Fache des oberen Normwerts tolerieren, so die Autoren.

Proximal betonte Schwäche bei Steroidmyopathie

Ezetimib, Fibrate oder Nikotinsäure können ebenfalls Myopathien hervorrufen – vor allem, wenn sie mit Statinen kombiniert werden. Liegen zusätzliche Faktoren vor, die die Medikamentenspiegel im Plasma erhöhen (wie z.B. eine Niereninsuffizienz), steigt das Risiko für Muskelschäden weiter an. Insgesamt führt aber z.B. Ezetimib deutlich seltener zu Myopathien als Statine.

Bei Steroiden auf die Cushingschwelle achten

Ob eine steroidinduzierte Myopathie entsteht, hängt entscheidend von der Therapiedauer und der Medikamentendosis ab, betonen die Autoren. Unterhalb der Cushing-Schwelle, die für Männer bei etwa 7,5 mg Prednison pro Tag anzusiedeln ist, beziehungsweise bei einer Prednisolondosis von < 10 mg/d ist eher selten mit muskuloskelettalen Problemen zu rechnen. Je länger die Steroidtherapie andauert, umso häufiger treten Myopathien auf.

Auch Immunsuppressiva lösen nicht selten Muskelprobleme aus. Die häufig eingesetzten Glukokortikoide Prednison, Prednisolon, Methylprednisolon u.a. können zur Steroidmyopathie führen, die sich vor allem als proximal betonte Muskelschwäche manifestiert. Häufig sind zuerst die Beine und später eventuell auch die Arme betroffen. Muskelschmerzen, EMG-Veränderungen oder CK-Erhöhungen bestehen meist nicht.

Immunsuppressiv wirkende Pharmaka wie Colchicin, Hydrochloroquin und Chloroquin haben gleichfalls muskelschädigendes Potenzial. Sie werden aber heute nicht mehr oft eingesetzt. Dementsprechend sieht man durch diese Substanzen induzierte Myopathien heutzutage eher selten. Bei CK-Erhöhungen muss man auch an antiretrovirale Medikamente wie nukleosidische/nukleo­tidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI/NtRTI) oder Proteaseinhibitoren denken. Die NRTI Zidovudin und Lamividin waren die ersten Medikamente zur Behandlung des HIV und sind auch heute noch für die HIV- und HBV-Therapie von Bedeutung.

Insbesondere in höheren Dosen im Rahmen einer Monotherapie können Zidovudin und andere NRTI Myopathien auslösen, während Kombinations-Regimes mit niedrigeren Dosen weniger bedenklich sind. NRTI/NtRTI können eine mitochondriale Myopathie mit Schmerzen, Paresen und CK-Erhöhung hervorrufen. Proteaseinhibitoren wie Indinavir, Ritonavir oder Atazanavir lösen zwar vor allem gastrointestinale Nebenwirkungen aus, können aber auch Muskelprobleme verursachen. Myopathien sind insbesondere bei gleichzeitiger Anwendung von anderen Substanzen mit myotoxischem Potenzial (z.B. Statine) beschrieben. Dabei wurden auch schwere Verläufe mit Rhabdomyolyse beobachtet.

HIV-Mittel und Statine in der Kombination riskant

Antibiotika führen seltener als antiretrovirale Medikamente zu Myo­pathien. Allerdings werden viele Antibiotika CYP3A4-abhängig verstoffwechselt. Das begünstigt Interaktionen, die das myotoxische Potenzial anderer Medikamente eventuell erhöhen. Fluorchinolone gehören zu den Antibiotika mit breitem Wirkspektrum und werden in vier Gruppen eingeteilt. Unerwünschte myotoxische Wirkungen wurden für alle vier Fluorchinolongruppen beschrieben – sie umfassen ein breites Spektrum von leichten Verläufen bis zu tödlichen Rhabdomyolysen. Noch häufiger verursachen Fluorchinolone jedoch Tendinopathien – vor allem an der Achillessehne. Bei Verdacht auf myotoxische Nebenwirkungen sollte die CK bestimmt und das Fluorchinolon abgesetzt werden.

Quelle: Kuhm C et al. internist. prax. 2016; 56: 141-149